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Ein kleines Kind auf einem der Müllhaufen im Lager Benz-Vi in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik.

© dpa

Entwicklungspolitik: Steht die Zentralafrikanische Republik vor einem Völkermord?

In der Zentralafrikanischen Republik kämpfen verfeindete Muslime und Christen. Zuletzt hieß es, das Land stünde kurz vor einem Völkermord. Ein Experte schätzt die Lage ein.

Andreas Mehler ist Direktor des Arnold Bergstraesser Instituts in Freiburg und Professor für Entwicklungstheorien und Entwicklungspolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er forscht zu gewaltsamen Konflikten, Staatlichkeit, sowie deutscher und französischer Afrikapolitik. Zentral- und Westafrika sind seine regionalen Schwerpunkte.

Vor kurzem warnte der UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien nach einer Reise in die Zentralafrikanische Republik vor einem möglichen Völkermord. Wie groß ist die Gefahr, dass es dazu kommt?

Es ist unbestritten, dass die Situation in der Zentralafrikanischen Republik verheerend ist. In vielen Landesteilen gibt es Gewalt und Vertreibung, doch einen Genozid würde ich mit einer anderen Situation verbinden. Was wir beobachten sind viele, aber sehr lokale Auseinandersetzungen, bei denen es durchaus so etwas geben kann wie gegenseitigen Vernichtungswillen zwischen Christen und Muslimen. Aber wenn man Genozid sagt, meint man die beabsichtigte Auslöschung einer Bevölkerungsgruppe. Es gibt in der Zentralafrikanischen Republik keinen Akteur, wie etwa eine Regierung oder Miliz, die in der Lage wäre, landesweit einen planvollen Genozid durchzuführen. Deswegen ist der Begriff aus meiner Sicht fehl am Platz.

Woher kommt die jetzige Gewalt?

Wir haben in der Zentralafrikanischen Republik eine Situation, die schon lange sehr unruhig ist. 2013 stürzte die Seleka - die ursprüngliche, muslimisch geprägte Rebellenallianz - die damalige Regierung. Diese Allianz hat sich in viele verschiedene Gruppierungen aufgespalten, sodass es keine geeinte Bewegung mehr ist. Die jeweiligen Kommandeure arbeiten gegeneinander, haben ihren Einzugsbereich und versuchen diesen irgendwie abzusichern. Dabei geht es ihnen vor allem um lukrative Einnahmequellen, wie Diamanten und Gold, sowie die Kontrolle des Kleinwaffenhandels. Im Grunde versuchen diese Gruppierungen ihren Machtbereich so weit von anderen Konkurrenten zu säubern, dass sie ihn wirklich vollkommen kontrollieren. Darum geht es im Kern.

Gibt es einen Grund dafür, dass die christlichen und muslimischen Milizen verfeindet sind?

Es gibt diese Frontstellung: Auf der einen die ehemaligen, muslimischen Seleka und die sogenannten Anti-Balaka, die manchmal als christliche Milizen bezeichnet werden. Manche von ihnen genießen Sympathie in der Regierung. Aber die Anti-Balaka sind weitgehend lokale Milizen; der Begriff ist nicht viel mehr als ein Schlachtruf, der in den verschiedenen Regionen des Landes ganz Unterschiedliches bedeutet. Die Anti-Balaka sind ebenfalls keine geeinte Bewegung, sondern lose organisierte Selbsthilfegruppen oder Jugendbanden, die sich diesen Namen geben. Dennoch gibt es bei Ihnen einen gewissen Zorn auf die ursprünglichen Seleka-Kämpfer, die 2013 die Regierung gestützt haben und in einem großen Siegeszug in die Hauptstadt Bangui eingezogen sind. Dort haben sie geplündert und auch Menschen umgebracht. Aus dieser Zeit stammt der Hass gegenüber diesen Kämpfern. Auch die Händler muslimischen Glaubens sind zu einer Zielscheibe geworden, weil ihnen Ausbeutung und zu hohe Preise und Sympathie mit der Seleka unterstellt werden. Das ist eine sehr vielschichtige Angelegenheit.

Welche Rolle spielt die aktuelle Regierung um Präsident Faustin Touadéra?

Touadéra ist im Frühjahr 2016 durch freie Wahlen in sein Amt gekommen. Jedoch hat er insgesamt nur wenige Handlungsmöglichkeiten. Das ist sein Hauptproblem. Die Armee ist größtenteils entwaffnet. Was aber noch viel wichtiger ist: Es gibt so gut wie keine Steuereinnahmen. Außerdem wäre es gut, wenn die Regierung inklusiver wäre. Es gibt große Kritik an Touadéra, dass er kaum Repräsentanten aus den Reihen der Seleka oder allgemein aus dem muslimischen Lager in seine Regierung aufgenommen hat. Symbolisch hätte es eine Bedeutung, täte er dies. Wobei auch dann nicht von heute auf morgen Frieden herrschen würde. Erst einmal muss ganz allmählich wieder Vertrauen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen geschaffen werden. Vor allem lokal, dort, wo es Massaker gab.

Wie wirken sich diese Konflikte zwischen den Milizen auf die Gesamtbevölkerung aus?

Wir haben aktuell etwa eine halbe Million Vertriebene. Manche Beobachter sprechen von 600.000. Zusätzlich sind rund 480.000 Zentralafrikaner ins Ausland geflüchtet, weshalb weit über 20 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Ein erheblicher Teil leidet also unter dieser Gewalt. Ich denke, die Warnung von Herrn O’ Brien ist insbesondere vor diesem Hintergrund zu betrachten. Denn die humanitäre Hilfe trifft nicht in dem Maße ein, wie es sich die UN wünschen würde.

Auch die finanziellen Zuwendungen der internationalen Gemeinschaft sind lange nicht auf der Höhe, auf der sie sein müssten. Die Warnung vor einem Genozid ist deshalb meiner Interpretation nach ein Ruf nach Aufmerksamkeit. 2014 gab es eine solche Warnung ebenfalls, da war dies auch der Fall. Die UN und Menschenrechtsaktivisten wissen sich anscheinend nicht anders zu helfen, als dieses Wort auszusprechen. Das „G-Wort“, das immer so viel auslöst. Jedenfalls ist das die Hoffnung.

Was ist denn mit den verschiedenen Friedensmissionen in dem Land?

Die Franzosen haben ihre eigene Mission im Oktober letzten Jahres entgegen der Wünsche der Regierung Touadéra beendet. Es ist aber einer ziemlich große Blauhelmtruppe – 12.500 Mann – vor Ort. Nur die UN-Mission im Kongo ist größer. Insofern gibt es doch schon ein stärkeres Engagement der internationalen Gemeinschaft, als es zum Ende der 90er Jahre der Fall war. In dieser Zeit hat man die Erfahrung gemacht, dass nur massives Eingreifen Erfolg bringt. Halbherziges Handeln bringt hingegen gar nichts. Dass die Wahl im vergangenen Jahr stattfinden konnte, war ein Erfolg der Blauhelme. Ohne deren Einsatz wäre das organisatorisch absolut nicht möglich gewesen. Auch humanitäre Hilfe wäre ohne die Blauhelmtruppen nicht möglich. In einem Land, in dem es kaum geteerte Straßen gibt, hilft ihre militärische Logistik.

Dennoch muss man sagen, dass die Bilanz gerade in letzter Zeit nicht mehr gut ist. In vielen Situationen kann man ihnen Parteinahme unterstellen. Außerdem gab es gehäuft Skandale, hauptsächlich wegen sexuellen Missbrauchs. Das deutet auf mangelnde Organisation hin. Solange Frankreich das Rückgrat der gesamten internationalen Mission gestellt hat, funktionierte das besser. Aber ich glaube nicht, dass Macron dazu bereit ist, die Mission wieder aufzugreifen, nachdem sie vor 10 Monaten erst beendet wurde.

Was sollten die UN-Truppen in Zukunft anders machen?

Ich denke, dass ist eine Frage, die über die Zentralafrikanische Republik hinausreicht. Im Süd-Sudan, einem Nachbarland, sieht man zum Beispiel, dass sich die UN-Missionen stark auf ihre Militärbasen zurückziehen und es kaum Kontakt mit der Bevölkerung gibt. Sicherlich auch aus Angst, man könne ihnen vorwerfen, über ihr Mandat hinausgegangen zu sein. Unsere Forschungsergebnisse zeigen aber, dass man nur Erfolg haben kann, wenn man täglich interagiert, wenn man wirklich im Zentrum der Auseinandersetzung steht. Dieses Vorgehen enthält letztendlich auch Risiken, aber es ist die einzige Möglichkeit in den sehr lokalen Konfliktarenen Bedeutung zu erlangen. Dort muss man jeden kennen, muss mit jedem sprechen können. Es nützt nichts, wenn ich irgendwie zehn Kilometer entfernt in meinem UN-Lager sitze.

Wie schätzen Sie ein, wie es in der Zentralafrikanischen Republik weitergehen wird?

Das ist schwer zu sagen. Ein Stück weit hat es die Regierung in der Hand, symbolisch ein Zeichen zu setzen, indem sie mehr muslimische Repräsentanten in ihre Regierung aufnimmt. Wobei es fraglich ist, ob das die Milizen interessiert. Sie wollen vor allem aus materiellen Gründen Kontrolle ausüben. Aus meiner Sicht kann es ein besseres Szenario nur dann geben, wenn es sowohl national als auch international zu einem Politikwechsel kommt. Und das hieße eigentlich: Man konzentriert sich eher auf die Hauptstadt Bangui im Westen des Landes, vielleicht noch auf den Nordwesten und ermöglicht dort Entwicklung. Ziel muss es sein, in diesem bevölkerungsreicheren Teil des Landes Stück für Stück an Legitimität zurückzugewinnen. Den Osten muss man – so schwer es fällt – anders regieren. Es wäre denkbar, dass man nur eine Reihe von befestigten Städten hält und das restliche Territorium letztlich den Milizen überlässt. Diese politische Entscheidung zu treffen ist wahnsinnig schwer. Aber ich glaube es ist die einzig realistische.

Philipp Schaffranek

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