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Politik: Er ist schon zurückgetreten

Von Tissy Bruns

Gerhard Schröder, der am Abend des 22. Mai den Mut des Gescheiterten bewiesen hat, sitzt in der Falle. Dieser Bundeskanzler hat nach einer für seine Partei verheerenden Wahlniederlage im größten Bundesland die Macht losgelassen. Der Souverän aber, der die Macht neu vergeben muss, macht in Bayern und BadenWürttemberg bis Mitte September Sommerferien. Nur deshalb kann nach den vom Grundgesetz gesetzten Fristen die Vertrauensfrage erst am 1.Juli stattfinden – eine zweite Respektsbezeugung vor den Wählern. Die Zeit bis dahin ist lang. Deshalb steht mittlerweile die halbe Republik auf dem Feldherrnhügel: Man vermutet, spekuliert, lenkt verwegen die Truppen – während der Bundeskanzler schweigt, wie es sein Amt verlangt.

Denn er ist auf dem Weg zu Neuwahlen die Institution, die laut Grundgesetz in einem abgestuften Verfahren als erste gefordert ist. Die Vertrauensfrage zu stellen, ist allein seine Aufgabe, nicht die der Koalition, der Fraktionen, der öffentlichen Meinung oder des Bundespräsidenten. Wenn der Bundestag als zweites beteiligtes Verfassungsorgan dem Kanzler das Vertrauen entzieht, kann Horst Köhler als drittes und entscheidendes den Bundestag auflösen.

Dieses Verfahren ist zweimal, von Willy Brandt und Helmut Kohl, erprobt worden; es hat einmal zusätzlich die Billigung des Verfassungsgerichts gefunden. Aber es bleibt heikel: Das Grundgesetz kennt keinen direkten Weg zu einer neu gewählten Regierung, wenn die alte ihren Rückhalt verloren hat. Der rot-grünen Koalition fehlt für ihren Reformkurs, den sie in keinem Wahlprogramm angekündigt hat, die Legitimation. Das haben alle Landtagswahlen und drastisch die in Nordrhein-Westfalen gezeigt. Es liegt in Schröders Naturell, dass er sich eher von den Wählern als von den eigenen Leuten aus dem Amt vertreiben lassen will. Aber Neuwahlen sind auch gut für das Land. Sie machen es weder instabiler noch kann in diesem Fall vermutet werden, dass eine Mehrheit willkürlich einen ihr angenehmen Zeitpunkt für Wahlen festsetzt. Denn Schröder und Rot-Grün haben keine Aussicht, diese Wahl zu gewinnen. Der 22. Mai hat eine Kanzlerschaft und die rot-grüne Koalition beendet.

Weil die politische Substanz – Neuwahlen wegen Legitimationsverlust – und der förmliche Weg dahin nicht deckungsgleich sein können, schwirren Gerüchte und Spekulationen durch die Luft. Innerhalb der SPD ist der Kampf gegen etwaige Dolchstoßlegenden entbrannt. So treu zum Kanzler stand die SPD-Linke noch nie, und naive Kanzlergetreue leisten unwillkommene Schützenhilfe. Mit der öffentlichen Beschimpfung des Bundespräsidenten komplizieren sie den Weg zusätzlich. Die Opposition verfolgt das erkennbare Interesse, den Kanzler, der de facto zurückgetreten ist, in aller Form zum Eingeständnis des Scheiterns zu zwingen, also zum Rücktritt. Besonders nobel ist das nicht, und staatspolitisch weitblickend schon gar nicht. Denn ein Rücktritt löst keine Neuwahlen aus. Dann sieht die Verfassung nur den zweiten Umweg vor, der mindestens so problematisch ist wie die Vertrauensfrage: den Versuch einer Kanzler-Neuwahl im Bundestag – und deren absichtsvolles Scheitern.

Es gibt kein Geheimnis um die Vertrauensfrage. Schröder fehlt die Legitimation, er hat es unmissverständlich ausgesprochen. Das Parlament wird abstimmen, der Bundespräsident entscheiden. Und das Volk, zurück aus den Ferien, wird eine neue Regierung wählen.

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