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Politik: ''Er täuscht eine nationale Gesinnung vor''

Harold Hurwitz zu den Vorwürfen gegen Havemann

Professor Hurwitz, Florian Havemann zitiert in seinem neuen Buch „Havemann“ einen Brief, in dem sein Vater 1933 die Hoffnung äußert, dass Hitler mit den Juden aufräumt. War Robert Havemann Antisemit?

Nein. Havemann, der sich zu jenem Zeitpunkt als Kommunist fühlte, begann damals ein konspiratives Leben, und der Brief ist Teil seiner Tarnung. Er täuscht eine nationale Gesinnung vor.

Warum tut er das in einem privaten Brief an die Eltern?

Die Eltern wussten, dass er sich seit seiner Beziehung zu einer jungen Kommunistin 1932 für den Kommunismus interessierte. Kurz vor dem Brief hatte es zwischen ihm und dem Vater gekracht, der Robert nahegelegt hatte, sich mit dem neuen Regime zu arrangieren. Roberts Brief vom 31. März 1933 soll sich so lesen, als ob der Sohn dem Rat des Vaters folge. Es ist aus meiner Sicht ein „Vorzeigebrief“, der Robert Havemann vor seiner Familie als politisch unverdächtig erscheinen lassen soll.

Worum geht es in dem Brief?

Robert und seine Lebengefährtin hatten in Berlin den Komintern-Auftrag, in einer Geheimwohnung illegale Genossen zu betreuen. Als herauskam, dass einer dieser Genossen Wassili Taneff war, der kurz darauf als Mittäter des Reichstagsbrandes angeklagt wurde, waren die beiden gefährdet. Zudem lebten sie unangemeldet bei einem russischen Juden. In dem Brief bittet Robert nun den Vater um ein Formular, damit er sich offiziell von Bielefeld nach Berlin ummelden kann.

Der Ton des Briefes ist gleichwohl erschreckend. Dort heißt es zur Ausschaltung von Gegnern: „Ich glaube, daß dies der nationalen Bewegung in Deutschland mit der nötigen eisernen Energie auch in Bezug auf die Juden gelingen wird.“

Ich denke, dass der konspirative Charakter gerade durch diese extremen Formulierungen deutlich wird. So schreibt er seinem Vater, der alles andere als ein Antisemit war, auch um ihn zu provozieren. In einem späteren Brief erwähnt er, in die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation eintreten zu wollen – woran er in Wahrheit nicht im Traum denkt.

In welchem politischen Zusammenhang befand sich Havemann damals?

Robert Havemann war 1933 über die sozialistische Gruppierung „Neu Beginnen“ zu dem Geheimverband „Org“ – für „Leninistische Organisation“ – gekommen. Die hatten Havemann als begabten Kolloidchemiker ausgeguckt und wollten wissen, was er für Beziehungen hat. Die haben ihm gesagt: Tritt nicht in die Partei ein, du bist anders wirksamer. Er war also ein Perspektivagent, der auf sein privates und berufliches Umfeld angesetzt war. Und das Reglement von „Org“für konspirative Arbeit in der Republik sah genau diese Art von Täuschung vor.

Hat sich Robert Havemann später je zu diesen Briefen und seinem Doppelleben in der Nazizeit geäußert?

Damals hatte er keinen Anlass dazu. Sein Verhalten gehörte zu den Regeln von „Org“. Er hat später keine Antworten geliefert oder Rechtfertigungen. Er hatte so etwas nicht nötig. Ich habe diesen Zusammenhang auch seinem Sohn Florian erklärt, aber der sieht in diesen Briefen wohl sein eigenes Vaterbild bestätigt.

Was sagen diese Briefe Ihrer Ansicht nach über die Person Havemann aus?

Sie zeigen seine Spiellust, seinen Abenteuergeist. Robert Havemann war ein Überlebenskünstler, überzeugt davon, dass er jedes System austricksen könne.

Harold Hurwitz, emeritierter FU-Professor für Soziologie, arbeitet an einem Buch über die politische Sozialisation von Robert Havemann. Das Gespräch führten Hermann Rudolph und Moritz Schuller.

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