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Erdbeben-Hilfe: Diplomatie der guten Taten

Seit 1971 wetteifern China und Taiwan mit viel Geld um internationale Anerkennung – in Haiti flammt der Konkurrenzkampf neu auf.

Berlin - Es wäre ein seltsamer Wettbewerb: Wer hilft den Erdbebenopfern in Haiti besser – China oder Taiwan? Finanziell lag Taiwan anfangs leicht vorne, fünf Millionen Dollar hat die Insel im ostchinesischen Meer bereitgestellt. Aus China kamen zunächst 4,4 Millionen Dollar an Hilfsgeldern. Was das Tempo betrifft, so sind die Helfer aus China schneller herbeigeeilt: Am Donnerstag nach dem Erdbeben traf die erste Rettungsmannschaft aus Festland-China im zerstörten Port-au-Prince ein, die Taiwaner landeten erst am vergangenen Samstag in der benachbarten Dominikanischen Republik. Die Zeichen verdichten sich, dass im vom Erdbeben zerstörten Haiti gerade wieder ein neues Kapitel der Dollar-Diplomatie beider Länder beginnt. Es wäre ein Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten.

Haiti ist einer von insgesamt 23 zumeist sehr kleinen Staaten, die Taiwan diplomatisch anerkennen. Jahrzehntelang hat China versucht, das Lager der Verbündeten Taiwans zu dezimieren, um den internationalen Status der „Republik China“, wie Taiwan sich selbst bezeichnet, und seine Chancen auf Unabhängigkeit zu mindern. Tatsächlich ist China dies mit seinem Aufstieg zur Wirtschaftsmacht immer besser gelungen, zuletzt wechselte Costa Rica 2007 die Seiten. Die Volksrepublik betrachtet Taiwan im Rahmen der Ein-China-Politik als abtrünnige Provinz, Taiwan hingegen versteht sich seit der Flucht der Kuomintang-Regierung 1949 über die Formosa-Straße als souveräner Staat. Doch die rechtliche Lage der Insel ist ungeklärt, seit die Volksrepublik 1971 in die UN aufgenommen wurde. China und Taiwan rangen seitdem um diplomatische Zuneigung. Mit viel Geld. „Das Ganze glich einem internationalen Pokerspiel“, sagte Shen Lyushun, stellvertretender Außenminister Taiwans.

Einige afrikanische Staaten nutzten das aus: Liberia wechselte vier Mal die Seiten – und ließ sich jede Meinungsänderung gut bezahlen. Lesotho, Niger oder Senegal entschieden sich je drei Mal für das andere Lager. Damit sollte nun eigentlich Schluss sein: „Das Geldspiel ist zu hässlich geworden, wir wollen kein Geld mehr verschwenden, und die anderen auch nicht“, sagte Shen Lyushun im Dezember, „deshalb haben wir einen diplomatischen Waffenstillstand ausgerufen“. Der wurde vor allem durch die Wahl von Taiwans Präsidenten Ma Ying-jeou im Jahr 2008 begünstigt: Der 59 Jahre alte Politiker der Kuomintang (KMT) hat eine neue Annäherung zwischen beiden Ländern eingeleitet.

Seit 2008 gibt es direkte Flugverbindungen und neue Wirtschaftsabkommen, 2009 verzichtete Taiwan erstmals seit 17 Jahren auf einen erneuten Antrag auf Aufnahme in die Vereinten Nationen. Stattdessen bemüht sich die Insel verstärkt um die Aufnahme in internationale Organisationen. „Wir glauben, dass technische oder professionelle Faktoren mehr Gewicht haben als politische Faktoren“, erklärt Taiwans stellvertretender Außenminister. So hat Taiwan im Dezember an der Weltklimakonferenz in Kopenhagen mit vier NGOs teilgenommen. „Wir sind für ein Prozent der weltweiten Kohlenstoffdioxidemissionen verantwortlich“, sagt Shen Lyushun: „Wir sind eine hoch industrialisierte Nation, wir wollen uns an internationale Standards anpassen und wir wollen in den internationalen Handel mit Emissionszertifikaten aufgenommen werden.“ Er weiß, wie schwierig die Aufnahme in Organisationen wie die Rahmenkonvention zum Klimawandel (FCCC) ist. „Doch es ist zum Nutzen für den Rest der Welt“, sagt er. „Ohne uns wäre das System nicht vollständig.“

Anne Hsiao vom Institut für Internationale Beziehungen der Nationalen Chengchi-Universität in Taipeh glaubt an den Erfolg der Strategie: „Die Teilnahme an spezialisierten Organisationen erfüllt die Idee einer sinnvollen Partizipation, weil sie den Bedürfnissen der Menschen entspricht.“ Taiwan gehört seit 2009 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an, allerdings nur als Beobachter. „Aber wir sind ein De-facto-Mitglied“, findet Shen Lyushun: „Wir fangen an, uns auszutauschen und eine direkte Kommunikation zu haben.“ Zuvor mussten Benachrichtigungen über Nahrungsmittelvergiftungen oder einen Krankheitsausbruch den Umweg über Peking nach Taipeh nehmen. „Das H1N1-Virus oder das Sars-Virus kennt keine politischen Grenzen“, sagt er. Sein Land will auch in die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) aufgenommen werden. Denn jährlich kreuzen bis zu 1,8 Millionen Flüge den Luftraum Taipehs. Gesundheits- und Sicherheitsfragen seien wichtiger als politische Eitelkeiten, findet Shen Lyushun.

Womöglich ist das in Haiti ähnlich – und gilt auch für China: Liu Bi-rong, Professor der Politischen Wissenschaften an der Soochow-Universität in Taipeh, sagte jedenfalls der dpa, Chinas aktuelle Hilfe in Haiti sei unproblematisch – „aber wir sollten uns Sorgen machen, wenn China auch am Wiederaufbau nach dem Erdbeben teilnimmt“, meint er: „Wenn Haiti zu Dank verpflichtet ist, dann kann China auf Haiti Einfluss ausüben.“ Inzwischen hat Festland-China Haiti weitere Hilfsmaßnahmen in Höhe von 2,64 Millionen Dollar versprochen.

Taiwans Präsident hingegen hat bereits angekündigt, dass er darüber nachdenkt, die Schulden Haitis zu erlassen. In den nächsten Tagen will Ma Ying-jeou den politischen Verbündeten Haiti besuchen.

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