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Ankaras Prunkstück: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Dienstag das neue Gebäude in Berlin-Tiergarten eröffnet. Foto: Michael Kappeler/dpa

© dpa

Erdoga in Berlin: Türkische Botschaft

Kurdenkonflikt, Visastreit, Syrienkrieg und EU-Beitritt: In Berlin spricht Premier Erdogan viele strittige Themen an.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist am Dienstag zur Einweihung des neuen Botschaftsgebäudes seines Landes nach Berlin gereist – doch in Festlaune scheint der Premier keineswegs zu sein. Er erwartet von Deutschland nicht nur ein Bekenntnis zu Solidarität im Konflikt mit Syrien. Wenn er am heutigen Mittwoch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammentrifft, solle es um „Probleme in vielen Bereichen“ zwischen der Türkei und Deutschland gehen, hatte Erdogan vor seinem Abflug gesagt. Zwei Beispiele hob er hervor: die Aktivitäten der PKK-Kurdenrebellen auf deutschem Boden und die bisher ignorierte Forderung der Türken nach einem Ende der Visapflicht bei Reisen nach Europa.

„In aller Ruhe“ könne sich die PKK über Tarnorganisationen in Deutschland finanzieren, sagte Erdogan am Dienstag. Das Thema habe er schon häufiger mit Kanzlerin Angela Merkel besprochen und den deutschen Behörden auch entsprechende Dokumente überreichen lassen – geholfen habe es nichts.

Dass sich die PKK bei den Kurden in Deutschland viel Geld für ihren Kampf gegen den türkischen Staat besorgen kann, bezweifeln auch die deutschen Behörden nicht. So sammelte die Organisation nach Erkenntnissen des deutschen Verfassungsschutzes vergangenes Jahr einen „zweistelligen Millionenbetrag“ bei Kurden in europäischen Ländern ein.

Teilweise fließt das Geld den Rebellen in Form von Mitgliedsbeiträgen für Tarnorganisationen zu. Teilweise wird das Geld auch über erzwungene Spenden eingetrieben, hieß es im Verfassungsschutzbericht für 2011: „Kurdische Familien werden jährlich mit mehreren hundert Euro zur Spendenkampagne veranlagt, vermögende Geschäftsleute müssen häufig mehrere tausend Euro zahlen.“

Erdogan sagte, einige PKK-Organisationen nutzten sogar die muslimische Frömmigkeit von Kurden aus. So habe es Fälle gegeben, in denen Geld für die Pilgerreise nach Mekka am Ende bei der PKK gelandet sei. Auch als Anwerbegebiet für neue Kämpfer ist die Bundesrepublik für die Kurdenrebellen wichtig. Aus Sicht der deutschen Behörden besteht das Problem, dass die PKK mit den Mitteln des Rechtsstaates zu schwer zu packen ist – für die Erdogan-Regierung hört sich dieser Hinweis nach einer Ausrede an.

In Sachen Rechtsstaat gibt es ohnehin Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die derzeit in der Türkei Gespräche führt, zeigte sich am Dienstag besorgt über die Lage bei der Meinungs- und Pressefreiheit. Hier gebe es Rückschritte, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. In internationalen Berichten werde beklagt, dass in der Türkei zuletzt doppelt so viele Journalisten inhaftiert worden seien wie im vergangenen Jahr. „Der Rechtsstaat muss eine kritische Recherche und Berichterstattung aushalten können, gerade darin zeigt sich seine Stärke.“

Differenzen bestehen zwischen Ankara und Berlin auch in der Frage der Reisefreiheit. Türken brauchen für private oder geschäftliche Reisen nach Deutschland ein Visum, das nach Ansicht vieler Betroffener häufig nur schwierig zu beschaffen ist. Zudem gelten die Entscheidungen der deutschen Behörden über Erteilung oder Ablehnung von Visaanträgen selbst bei europafreundlichen Türken als willkürlich.

Unterstützt von den fast 5000 deutschen Unternehmen in der Türkei fordert Ankara seit langem Erleichterungen bei der Visavergabe oder eine völlige Aufhebung der Visapflicht. Selbst Ländern, die nicht einmal als Beitrittskandidaten anerkannt seien, gestehe die EU Reiseerleichterungen zu, sagte Erdogan.

Bei einer Veranstaltung des Berggruen Institute on Governance am Dienstagabend in Berlin gab sich Erdogan selbstbewusst und gekränkt zugleich: „Wir werden keine Last für die Europäische Union darstellen.“ Vor dem Hintergrund der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise entfaltete der Regierungschef Wirtschaftsdaten, die sein Heimatland für das kriselnde Europa attraktiv machen sollen: Ein Wachstum von 8,5 Prozent im vergangenen Jahr, Fortschritte beim Schuldenabbau sowie eine weit niedrigere Arbeitslosigkeit als in Europa. „Das hat zu tun mit der Finanzdisziplin, die wir stets eingehalten haben“, sagte der Politiker.

Zugleich bekräftigte Erdogan das Ziel, die Türkei bis 2023 unter die zehn größten Wirtschaftsmächte der Welt zu bringen. Im Gegensatz zu manchen EU-Mitgliedern würde sein Land die Maastricht-Kriterien bereits heute erfüllen: „Wir machen unsere Hausaufgaben mit großer Geduld“, versicherte Erdogan. Sofern die EU den Beitritt aber zu lange hinauszögere, so warnte er, werde sie „die Türkei verlieren“.

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