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Der türkische Regierungschef Erdogan will Präsident werden.

© AFP

Erdogan will Präsident werden: „Wir errichten eine neue Türkei“

Die türkische Regierungspartei AKP ruft Recep Tayyip Erdogan zum Präsidentschaftskandidaten aus. Der 60-jährige Regierungschef strebt einen Wahlsieg im August an - und will faktisch ein Präsidialsystem errichten.

Den größten Saal in Ankara hatte die türkische Regierungspartei AKP gemietet, um ihren Chef Recep Tayyip Erdogan zu feiern. Mit Nationalhymne und großem Pomp ließ sich Erdogan am Dienstag in Ankara vor mehreren tausend Anhängern zum Präsidentschaftskandidaten der AKP küren, eine bunte Video-Jubelschau feierte Erdogan als Landesvater und Patrioten.

Die aufwändige Krönungsmesse in der türkischen Hauptstadt sollte sechs Wochen vor der ersten Direktwahl eines türkischen Staatspräsidenten am 10. August die Macht der AKP und Erdogans demonstrieren – und die Gegenkandidaten das Fürchten lehren.

Erdogan brandmarkt Gegner als Handlanger der Armee

Auch Erdogan selbst ging gleich in die Vollen. In einer einstündigen Rede nach seiner Nominierung griff er seine politischen Gegner als Handlanger einer „Vormundschaft“ durch die Armee an und strich Diskriminierungen gegen fromme Muslime heraus, etwa durch das – von Erdogans Regierung inzwischen abgeschaffte – Kopftuchverbot.

Dennoch wolle er als Präsident für alle Türken da sein, nicht nur für seine eigenen Wähler, unterstrich Erdogan. Er werden den Friedensprozess mit dem Kurden vorantreiben sowie die Wirtschaft und die EU-Kandidatur der Türkei weiter stärken. Er kündigte aber auch an, weiter gegen angebliche parallele Strukturen im Staatsapparat zu kämpfen, die er für Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung verantwortlich macht. Der Wahltag werde ein Wendepunkt sein: „Wir errichten eine neue Türkei.“

Der Kandidat will die Fäden in der Hand behalten

Zu dieser neuen Türkei gehört ein De-Facto-Präsidialsystem, das Erdogan einführen will. Als Staatschef muss er zwar als Regierungschef und AKP-Vorsitzender zurücktreten, doch er will weiter die Fäden in der Hand behalten. Laut Medienberichten könnte sich der amtierende Staatschef und Erdogan-Vertraute Abdullah Gül trotz ursprünglicher Dementis doch bereit finden, in das Amt des Ministerpräsidenten zurückzukehren, das er bis zu Erdogans Amtsantritt im März 2003 für einige Monate innehatte.

In einem solchen Ämtertausch nach dem Vorbild von Wladimir Putin und Dmitri Medwedew in Russland würde der 63-jährige Gül auch den AKP-Vorsitz übernehmen, wie es viele in der Regierungspartei fordern. Innerhalb der AKP gibt es allerdings auch starke Kräfte, die einen Generationswechsel verlangen. Zunächst verlässt sich Erdogan auf alte Gefährten. Seine Präsidentschaftskandidatur wurde von AKP-Vize Mehmet Ali Sahin verkündet, der seit 40 Jahren zusammen mit Erdogan Politik macht.

Nach den Umfragen ist Erdogan der haushohe Favorit für die Präsidentschaftswahl und hat gute Chancen, im ersten Wahlgang am 10. August mit mehr als 50 Prozent der Stimmen gewählt zu werden; verfehlt er diese Marke, muss er sich am 24. August einer Stichwahl stellen. Die meisten Befragungen sehen Erdogan zwischen 52 und 54 Prozent. Der Kandidat der beiden größten Oppositionsparteien der Türkei, Ekmeleddin Ihsanoglu, kommt auf etwa 40 Prozent, Kurden-Kandidat Demirtas wird bei etwa 7,5 Prozent gehandelt.

Der Wahlforscher Adil Gül sagte, die Wahlbeteiligung werde am 10. August eine große Rolle spielen. Sollten viele Oppositionsanhänger in der Annahme, dass Erdogans Sieg feststehe, zu Hause bleiben, erhöhe das die Siegchancen des Ministerpräsidenten, sagte Gül im türkischen Nachrichtensender NTV. Bei der Wahl dürfen die rund 2,5 Millionen türkischen Wähler im Ausland erstmals an ihren jeweiligen Wohnorten ihre Stimmen abgeben.

Doch es gibt auch Unwägbarkeiten für Erdogan. Wenn der kurdische Kandidat Demirtas erfolgreich um Wähler aus dem linken Spektrum und aus der Gezi-Protestbewegung wirbt und auf mehr als zehn Prozent kommt, wäre Erdogans großes Ziel in Gefahr, schon im ersten Wahlgang am 10. August gewählt zu werden.

Die Konflikte bei den Nachbarn Irak und Syrien sorgen ebenfalls für Zündstoff. Im Irak befinden sich rund 80 türkische Staatsbürger, darunter der türkische Generalkonsul im nordirakischen Mossul, seit drei Wochen in der Gewalt der Dschihadisten-Gruppe Isis. Erdogans Regierung hat eine Nachrichtensperre verhängen lassen, um das Thema aus der Diskussion zu halten. Die Opposition wirft der Regierung vor, die Extremisten von Isis und anderen Gruppen jahrelang unterstützt und so stark gemacht zu haben. Sie hat die Vorlage von Beweisen für Waffenlieferungen Ankaras an Dschihadisten angekündigt.

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