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Tag der Verantwortung. Die Griechen hatten bei der Parlamentswahl am Sonntag die Entscheidung: Bestrafen sie die beiden großen Parteien „Neue Demokratie“ und Pasok für ihren Reformkurs – oder setzen sie doch auf halbwegs stabile Regierungsverhältnisse. Foto: Kostas Tsironis/AP

© dapd

Update

Erfolg für linke und rechte Extremisten: Griechische Regierungsparteien verlieren eigene Mehrheit

Nach der Parlamentswahl in Griechenland ist kaum absehbar, wie das Land zukünftig regiert werden soll. Den Traditionsparteien fehlt eine Mehrheit, gewonnen haben vor allem linke und rechte Extremisten. Die Wähler ließen ihrem Frust über Sparkurs und wirtschaftliche Talfahrt freien Lauf.

Nach der Parlamentswahl in Griechenland ist keine Regierungskoalition absehbar. Die beiden bisherigen Koalitionsparteien, die Nea Dimokratia des früheren Außenministers Antonis Samaras und die sozialistische Pasok-Partei, kamen am Sonntag zusammen nur auf 32,4 Prozent der Stimmen. Die Mehrheit der Wähler stimmte gegen die Traditionsparteien und ihren Sparkurs, Linksradikale und Neonazis profitierten von der verbreiteten Unzufriedenheit.

Nea Dimokratia und Pasok erhalten laut den in der Nacht zum Montag veröffentlichten Auszählungsergebnissen von rund 95 Prozent der abgegebenen Stimmen zusammen 150 der 300 Parlamentssitze - und haben damit keine Regierungsmehrheit. Laut Verfassung sollen die Parteien innerhalb von zehn Tagen nach der Wahl eine Koalition bilden. Präsident Karolos Papoulias wird den Auftrag zur Regierungsbildung zunächst an Samaras geben, dessen Partei mit einem Stimmanteil von knapp 20 Prozent rund 108 Parlamentssitze errang.

Pasok und Nea Dimokratia hatten in den vergangenen Monaten in einer Regierung der nationalen Einheit zusammengewirkt, um die Sparbeschlüsse für das hochverschuldete Land auszuhandeln. Die Parlamentswahl kam einer Abstimmung über die unpopulären Sparmaßnahmen gleich. Rund 60 Prozent der Stimmen gingen an Parteien, die diesen Kurs ablehnen.

Fotostrecke: Griechenland hat gewählt

Die aus der Parlamentswahl als zweitstärkste Kraft hervorgegangene Syriza-Partei schlug die Bildung einer linksgerichteten Regierung vor, die das mit den internationalen Gläubigern ausgehandelte Sparpaket aufkündigt. „Unser Vorschlag ist eine linksgerichtete Regierung, die mit der Rückendeckung des Volkes das Memorandum (mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds) aufkündigt und den für unser Land vorgezeichneten Weg in die Armut stoppt“, sagte der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras. Die Syriza, die enge Kontakte zu den Linken in Deutschland unterhält, kam auf 16,4 Prozent der Stimmen.

Pasok-Chef Evangelos Venizelos rief zur Bildung einer „pro-europäischen Regierung der nationalen Einheit“ auf. Nur so könne Griechenland die Krise überwinden, fügte der ehemalige Finanzminister hinzu, der mit EU und IWF den strikten Sparplan für sein Land ausgehandelt hatte. Angesichts der Zugewinne der Sparkurs-feindlichen Parteien gestand Venizelos ein, dass es „schwierig“ werde, eine pro-europäische Regierung zu bilden. Erstmals im Parlament in Athen vertreten sein wird die Neonazi-Partei Chryssi Avgi (Goldene Morgenröte), die mit 6,9 Prozent der Stimmen auf 21 Abgeordnete kommt.

Gewonnen haben Parteien am linken und rechten Rand des politischen Spektrums. Nach Berechnungen des Innenministeriums entfielen rund 60 Prozent der Stimmen auf Parteien, die den Sparkurs ablehnen oder einen Abschied Griechenlands aus Währungsunion und EU propagieren. Selbst die stärkste Partei Nea Dimokratia büßte gegenüber der Wahl vom Oktober 2009 13 Prozentpunkte ein.

Auf dem zweiten Rang liegt nicht etwa Pasok, sondern das europa-kritische „Bündnis der radikalen Linken“, Syriza, das enge Kontakte zu den Linken in Deutschland unterhält. Es holte 16,4 Prozent der Stimmen und 50 Mandate. Die Partei will die Rettungskredite aufkündigen, plant umfangreiche Verstaatlichungen, Masseneinstellungen im Staatsdienst und eine einseitige Streichung der Staatsschulden. Sie konnte ihren Stimmenanteil gegenüber 2009 mehr als verdreifachen und ist der eigentliche Gewinner der Wahl. Syriza-Chef Alexis Tsipras wertete das Wahlergebnis als Mandat zur „Revolution“. Er will sich jetzt um die Bildung einer Linksregierung bemühen.

Massive Verluste erlitt die Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok), Wahlsieger von 2009. Sie stürzte von 44 auf rund 14 Prozent ab und ist nur noch drittstärkste Partei im Parlament. Auf etwa 8,5 Prozent kam die stalinistische Kommunistische Partei Griechenlands, die das Parlament abschaffen und die Diktatur des Proletariats errichten will. Auch die neofaschistische Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) schaffte den Sprung ins Parlament, laut Hochrechnungen mit sieben Prozent. Erstmals ins Parlament kommt mit einem prognostizierten Stimmanteil von fast elf Prozent die ultra-nationalistische Partei „Unabhängige Griechen“, die Athens Finanzprobleme mit deutschen Reparationen für die Nazi-Besatzung im Zweiten Weltkrieg lösen und die Inspektoren der Troika als „unerwünschte Personen“ ausweisen will. Künftig werden im Parlament bis zu zehn statt bisher fünf Parteien vertreten sein. Die Zersplitterung der politischen Landschaft dürfte die Bildung einer stabilen Regierung erschweren.

"Regierung der Rettung" und "Regierung der Einheit"

Samaras wird nun zur Schlüsselfigur. Papoulias wird ihn am heutigen Montag beauftragen, die Möglichkeiten einer Regierungsbildung zu sondieren. Dafür hat Samaras laut Artikel 37 der Verfassung drei Tage Zeit. Am späten Sonntagabend plädierte Samaras für die Bildung einer „nationalen Regierung der Rettung“, um die Zukunft des Landes in der Eurozone zu sichern. Der sozialistische Parteichef Evangelos Venizelos, der als Finanzminister mit EU und Internationalem Währungsfonds das jüngste Rettungspaket ausgehandelt hatte, sprach sich für die Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“ aus.

Kann Samaras keine Koalition bilden, geht der Sondierungsauftrag für jeweils drei Tage an die Führer der zweit- und drittstärksten Parteien. Bleiben sie erfolglos, ruft der Präsident die Vorsitzenden aller im Parlament vertretenen Parteien zusammen. Scheitert dieser letzte Versuch zur Regierungsbildung, werden Neuwahlen ausgeschrieben. Politisch und finanziell gerät Griechenland aber schon jetzt ins Schlingern. Bis zum 15. Mai erwartet man in Athen die Auszahlung der nächsten Rate der Hilfskredite von 5,3 Milliarden Euro. Ob die Gläubiger die Gelder freigeben, wenn es bis dahin keine neue Regierung gibt, ist fraglich. Und am 21. Mai kommt die Troika nach Athen, um über zusätzliche Sparmaßnahmen und die Finanzplanung für die Jahre 2013-14 zu verhandeln. Sie erfordert Einsparungen von weiteren 11,6 Milliarden Euro über die beschlossenen Einschnitte hinaus. (mit AFP)

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