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Flüchtlingskinder spielen auf dem Hof der Außenstelle des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) in einem ehemaligen Gefängnis in Berlin mit Seifenblasen.

© dpa

Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels: Die Länder werden entlastet und Asylverfahren beschleunigt

Der Kompromiss für die Versorgung der Flüchtlinge steht, weil der Bund sich stärker engagiert. Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels im Überblick.

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Nach einigen Flüchtlingsgipfeln, auf denen immer wieder Kuhhändel ums Geld ausgetragen wurden, haben sich Bund und Länder jetzt auf etwas wohl tragfähiges Neues geeinigt. Von nun an gibt es für die Kosten der Versorgung von Flüchtlingen eine Pauschale pro Person, und der Bund wird sie übernehmen. Ein „atmendes System“ nennt das die Kanzlerin. Was ändert sich nach dem Gipfel in der Flüchtlingspolitik?

Neue Finanzmittel und Sachleistungen

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund reagierte prompt. Noch am Donnerstagabend veröffentlichte er eine Erklärung, in der die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin und dem Bundeskabinett als „die notwendige Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik“ bezeichnet werden. Vor allem die Tatsache, dass die finanziellen Hilfen des Bundes künftig dynamisch an die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge angepasst werden, entspreche den Forderungen von Städten und Gemeinden. Zugleich, darauf machte Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Freitag aufmerksam, bedeutet das neue System, dass der Bund dafür geradesteht, wenn die Flüchtlingszahlen steigen oder die geplante Beschleunigung der Verfahren nicht funktioniert. „Der Bund geht damit ein Risiko ein“, betonte der CDU-Politiker.

Die am Donnerstag festgelegte Summe von 670 Euro pro Monat zur Betreuung von Flüchtlingen in Erstaufnahmeeinrichtungen nannte ein Städtebund-Sprecher einen „realistischen Korridor“. Der tatsächliche Aufwand liege mit bis zu 1200 Euro allerdings höher. Auch die Umstellung von Unterstützungsleistungen für abgelehnte Asylbewerber auf Sachleistungen zählt zu den Forderungen der Kommunen. „Wir müssen nun Erfahrungen sammeln, ob dies in der Praxis auch funktioniert“, sagte der Sprecher. Schließlich müssten entsprechende Sachgüter angeschafft und gelagert werden. „Das ist eine logistische Herausforderung.“ Vorsorglich hat die Gipfel-Runde die Neuregelung unter Praxisvorbehalt gestellt: „Sofern mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich“, würden Barleistungen durch Sachleistungen ersetzt. Unklar bleibt, wie die spätere Intergration der Flüchtlinge organisiert und finanziert werden soll.

Auswirkungen der Beschlüsse auf Berlin

„Wir haben endlich den Bund in die Verantwortungsgemeinschaft von Ländern und Kommunen geholt“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) zur Einigung zwischen Bund und Ländern über die Verteilung der Flüchtlingskosten. Er lobte vor allem, dass sich die Hilfen des Bundes künftig an den realen Flüchtlingszahlen und deren „Verweildauer“ in Deutschland orientieren. Berlin wird im laufenden Jahr 110 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt erhalten, bisher waren nur 27,5 Millionen Euro eingeplant. Den Mehreinnahmen stehen allerdings drastisch gestiegene Ausgaben gegenüber. Der Senat geht für dieses Jahr von 450 Millionen Euro Gesamtkosten für die Versorgung der Flüchtlinge aus.

Im nächsten Jahr rechnet Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) mit 242 Millionen Euro aus der Bundeskasse. Davon sind 210 Millionen Euro für laufende Ausgaben (einschließlich der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge) und 32 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau eingeplant. Mit den Geldern des Bundes könne Berlin „die Kosten der Flüchtlingsversorgung gerade mal so in den Griff bekommen“, sagte eine Sprecherin des Finanzsenators. Im Berliner Haushaltsentwurf für 2016 stehen den Einnahmen von 242 Millionen Euro aus der Bundeskasse nämlich Ausgaben von 404 Millionen Euro gegenüber. Intern wird damit gerechnet, dass es sogar 600 Millionen Euro werden könnten. Angesichts dieser Zahlen wird das Ergebnis des Bund-Länder-Gipfels von Kollatz-Ahnen als eine „relative Verbesserung“ der finanziellen Lage empfunden, die durch die gestiegenen Flüchtlingszahlen entstanden ist.

Beschleunigte Asylverfahren
Der neue Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Frank-Jürgen Weise, trug beim Bund-Länder-Gipfel erste Ansätze zur Reform des Asylverfahrens vor. Bisher hatte das Bamf nur einen Teil der für 2015 zugesagten 1000 neuen Stellen besetzen können. Bis Januar soll das Verfahren nun zügig abgeschlossen werden. Anfang des kommenden Jahres sollen nach Weises Planungen dann 2000 weitere Stellen ausgeschrieben werden. Dies sei in der Runde am Donnerstagabend auch abgesegnet worden, sagte ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit, die Weise ebenfalls leitet. Über die Finanzierung sei aber noch keine Festlegung getroffen worden. Weise will zunächst befristet Beschäftigten der Bundesagentur Jobs im Bamf anbieten. Allein hier sieht er ein Potenzial von rund 1000 Mitarbeitern, wie der Sprecher sagte. Weise setzt außerdem auf Amtshilfe der Bundeswehr. Dort hieß es am Freitag, 500 zivile und militärische Kräfte aus der Bundeswehrverwaltung seien „identifiziert“ oder würden bereits beim Bamf für die neuen Aufgaben geschult. „Weitere Abfragen laufen, das geht jetzt ganz schnell“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums dem Tagesspiegel. Mithilfe neuer Mitarbeiter soll der Antragsstau von rund 250 000 Asylanträgen zügig abgearbeitet werden. Zielmarke für künftige Anträge ist eine Bearbeitungszeit von drei Monaten. Das gesamte Verfahren von der Registrierung bis zur Entscheidung soll nicht länger als fünf Monate dauern.
Weise hat nach Angaben seines Sprechers im Übrigen auch eine Aufstockung des Personals der Bundesagentur für 2016 angemahnt. Auch hier sollen 3000 Stellen neu geschaffen werden. Bei seiner Vorstellung als neuer Bamf-Chef durch Innenminister de Maizière hatte Weise dafür bereits eine Begründung geliefert: „Die Probleme, die es jetzt beim Bamf gibt, werden sich ab 2016 in den Jobcentern spiegeln, wenn die Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt kommen.“

Gesundheitskarte, Herkunftsstaaten, offene Fragen

Veränderungen in der Gesundheitsversorgung
Bei den anvisierten Verbesserungen für den Gesundheitsschutz von Flüchtlingen gab es keine Überraschungen. Trotz des Widerstands von CSU und Teilen der CDU wurde beschlossen, den Ländern die Ausgabe von Gesundheitskarten an Flüchtlinge zu erleichtern. Das heißt nicht, dass alle mitmachen müssen. Wer Asylbewerber weiterhin nicht ohne Behörden-Genehmigung zum Arzt lassen möchte, kann dies auch künftig tun. Doch in den Ländern, die das Verfahren vereinfachen wollen, müssen die gesetzlichen Krankenkassen nun mitziehen. Sie haben die Kosten der Behandlung erst einmal zu übernehmen, bekommen sie aber später von den Kommunen zurückerstattet.
Gleichzeitig wurde nochmals betont, dass die Leistungen – egal ob mit Gesundheitskarte oder nicht – wie bisher auf Akutbehandlungen beschränkt bleiben. Die Migrationsbeauftragte der Regierung, Aydan Özoguz (SPD), bedauerte, dass man für die Gesundheitskarte keine bundesweit einheitliche Regelung geschafft habe. Der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion, Georg Nüßlein (CSU), kritisierte den Beschluss dagegen als zu weitgehend. „Es ist richtig, dass Flüchtlinge medizinisch versorgt werden müssen. Aber wenn wir signalisieren, dass jeder – also auch diejenigen, die ohne berechtigten Asylgrund zu uns kommen – vom ersten Tag an einen umfassenden Anspruch auf alle Gesundheitsleistungen hat, würden wir was falsch machen“, sagte Nüßlein dem Tagesspiegel und warnte erneut vor der „Anreizwirkung“ insbesondere auf Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen Asyl beantragten. Nüßlein betonte, dass sich die rot-grün regierten Länder mit einem „Sonderanliegen“ durchgesetzt hätten. Ihnen sei es keineswegs nur um Verwaltungsvereinfachung gegangen. In Bayern werde es jedenfalls auch künftig keine Gesundheitskarten für Flüchtlinge geben.

Sichere Herkunftsstaaten
Nach Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina gelten nun auch Albanien, das Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten. Für Asylbewerber dieser Staaten gilt künftig ein Beschäftigungsverbot. Die Einstufung gibt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber vor allem die Möglichkeit, das Asylverfahren zu beschleunigen – was angesichts des Antragsstaus im Bamf bisher allerdings kaum durchführbar war.
Pro Asyl nennt es „absurd“, einen Staat wie das Kosovo, in dem eine internationale Friedenstruppe stationiert ist, als sicheres Herkunftsland einzustufen. „Die Hardliner haben sich auf Kosten der Menschenrechte von Flüchtlingen durchgesetzt“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt auch mit Blick auf die Entscheidung, die finanzielle Unterstützung für abgelehnte Asylbewerber, die das Land verlassen müssen, einzuschränken. Denn dies zielt ebenfalls vor allem auf Flüchtlinge vom Balkan. Für de Maizière ist der Teil der Vereinbarung zentral: „Die Unterscheidung zwischen Schutzbedürftigen und nicht Schutzbedürftigen ist jetzt so deutlich, dass wir der Bevölkerung auch sagen können, dass die zweite Gruppe das Land schnell wieder verlassen muss.“

Als zukunftsweisend könnte sich der Beschluss erweisen, Bürgern vom westlichen Balkan einen legalen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu eröffnen. Dies könnte langfristig dazu führen, dass Auswanderer von dort gar nicht erst den Weg über das Asyl suchen, um in Deutschland Fuß zu fassen.

Offene Fragen
Nicht nur die Kommunen wünschen sich rasche Vereinbarungen von Bund und Ländern zur Integration von Flüchtlingen. Die Grünen-Vorsitzende Katrin Göring-Eckardt fordert in einem Positionspapier eine Bildungsoffensive mit einem Zehn-Milliarden- Euro-Programm über zehn Jahre. Sie spricht sich außerdem für ein Integrationsministerium und nicht zuletzt für ein modernes Einwanderungsrecht aus. Und sie steht mit diesen Forderungen nicht allein. Selbst in der Union gibt es inzwischen immer mehr Befürworter eines Einwanderungsgesetzes.

Unseren Artikel über das Bild eines Flüchtlingskindes, das für so viel Aufsehen gesorgt hatte, lesen Sie hier.

Die Tagesspiegel-Themenseite zu Flüchtlingen finden Sie hier.

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