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Politik: Erinnerung an einen Albtraum

Warschau - Scheinbar ziellos geht die kleine Gruppe der alten Leute zwischen den verschneiten Baracken umher. Dick vermummt sind die Männer und Frauen, der bitterkalte Wind wirbelt Schneeflocken um die niedrigen Gebäude.

Warschau - Scheinbar ziellos geht die kleine Gruppe der alten Leute zwischen den verschneiten Baracken umher. Dick vermummt sind die Männer und Frauen, der bitterkalte Wind wirbelt Schneeflocken um die niedrigen Gebäude. Immer wieder bleiben die Greise stehen, zeigen auf eine Baracke, einen Wachturm, ein Drahtverhau, reden kurz miteinander, bevor sie langsam weitergehen. Vor exakt 65 Jahren endete für diese Menschen ein Albtraum. Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz von russischen Truppen befreit. Etwa 150 Überlebende sind gestern nach Auschwitz gekommen, um an den offiziellen Gedenkfeiern teilzunehmen.

Jadwiga Bogucka, eine Frau von 84 Jahren, genießt die Aufmerksamkeit, die ihr an diesem Tag die Öffentlichkeit schenkt. Es ist ihr Sieg über die Mörder von damals. Sie wurde wegen der Teilnahme am Warschauer Aufstand ein Jahr vor Kriegsende von den deutschen Besatzern nach Auschwitz deportiert und hat das Grauen als junges Mädchen überlebt. Das Wetter sei bei der Befreiung des Lagers ähnlich gewesen, erinnert sie sich gestern. „Alles war mit Schnee bedeckt und es war sehr kalt.“ Niemand habe geahnt, dass die Deutschen das Lager angesichts der aus dem Osten heranrückenden Front fluchtartig verlassen würden, sagt Jadwiga Bogucka. Am Morgen hätten alle wie immer auf den Appell vor dem Frühstück gewartet, doch nichts sei geschehen. Ein anderer Gefangener erzählt, dass sich anfangs niemand aus den Baracken getraut habe, aus Angst, erschossen zu werden. Erst als die russischen Soldaten ins Lager einmarschiert seien, sei ihnen klar gewesen, dass das Martyrium ein Ende hatte.

65 Jahre nach der Befreiung des Lagers hätten die Überlebenden ein Recht zu glauben, dass ihr Leiden einen Sinn gehabt habe, nämlich eine „bessere Zukunft für alle Europäer“ aufzubauen, sagt der frühere polnische Außenminister und Auschwitz-Überlebende Wladyslaw Bartoszewski zu Beginn der offiziellen Gedenkfeiern. Doch denkt er mit großer Bitternis an die Schrecken jener Zeit zurück. Völlig unverständlich sei für ihn, erklärt er, dass die Staaten der Kriegskoalition gegen Hitler nicht auf die polnischen Berichte über den Völkermord reagiert hätten. Die polnische Widerstandsbewegung habe die freie Welt informiert und gewarnt. 

Knut Krohn

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