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Wichtige Erinnerung: Stolpersteine in Berlin.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Polnische NS-Opfer: Zeit für ein neues Denkmal

Warum wir in Berlin gerade jetzt ein Denkmal für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg brauchen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Berlin ist reich an Denkmälern und Museen, an großen und kleinen Erinnerungsorten. Nun möchte eine Initiative auch den polnischen Opfern der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg ein Denkmal setzen, auf dem Askanischen Platz am Anhalter Bahnhof. Ein Polen-Denkmal gibt es bereits im Volkspark Friedrichshain, in der DDR wurde es polnischen Soldaten und deutschen Widerstandskämpfern gewidmet. Jetzt fragen einige, ob ein weiteres Denkmal wirklich sinnvoll sei. Wäre es nicht problematisch, in der Erinnerung an die NS-Opfer ein einzelnes Land hervorzuheben? Wird dadurch die Erinnerungskultur nicht immer weiter fragmentiert und auch noch nach Nationen getrennt? Wäre nicht also ein gemeinsames Denkmal für alle mittel- und osteuropäischen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik der Sache angemessener?

Einen Ort, an dem aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht werden soll, gibt es in Berlin längst: die Neue Wache. Das Gebäude am Boulevard Unter den Linden zeigt zugleich die Problematik solcher Gedenkorte. Denn je allgemeiner sie gehalten sind, je unpersönlicher sie erscheinen, desto stärker verlieren diese Erinnerungsorte an Wirkung - nicht nur für diejenigen, die an einem solchen Ort um ihre ermordeten Angehörigen trauern wollen. Das Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen wird dort den Betrachtern nur schwer nahegebracht. So ist es kein Zufall, dass es ausgerechnet die kleinen Stolpersteine sind, die bei vielen Menschen großen Eindruck hinterlassen.

Vor einigen Jahren entstand die Idee, einen Gedenkort für alle „Opfer der NS-Lebensraumpolitik“ zu schaffen. Denn nicht nur Polen, sondern auch Ukrainer, Russen, Weißrussen, Balten und andere wurden Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Für Historiker ist dies die korrekte Perspektive, doch allein schon der Begriff der „NS-Lebensraumpolitik“ bleibt ein akademischer. Erst der nähere Blick auf das Geschehen und die Menschen, die es erlitten, macht Geschichte für ein größeres Publikum begreifbar.

Die Deutschen wissen bis heute zu wenig über den polnischen Nachbarn

Auch für andere Opfergruppen gibt es eigene Denkmale. Neben dem großen Holocaust-Mahnmal im Zentrum Berlins, das an die ermordeten Juden erinnert, sind Denkmale für Sinti und Roma, für verfolgte Homosexuelle und für die Opfer der sogenannten Euthanasie entstanden. Natürlich kann und darf es keinesfalls darum gehen, Opfergruppen gegeneinander auszuspielen, Juden gegen Nichtjuden, Polen gegen Russen. Aber ein großes Denkmal für alle würde schlimmstenfalls am Ende keiner Gruppe, keinem Land gerecht. Bis heute wissen die Deutschen ohnehin viel zu wenig über die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in Mittel- und Osteuropa. So werden sowjetische Opfer oft gleichgesetzt mit russischen, als hätte es nicht auch in der Ukraine und in Weißrussland unsägliches Leid gegeben.

Es gibt gute Gründe, sich in Deutschland eingehend mit der polnischen Erfahrung zu beschäftigen. Der Angriff auf Polen am 1. September 1939 markierte den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Von Anfang an war klar, dass es sich um einen Vernichtungskrieg handelte, der mit der Ermordung der polnischen Intellektuellen begann und mit dem bis heute unfassbaren Massenmord an den Juden in Auschwitz endete. Bis zu sechs Millionen polnische Bürger wurden zwischen 1939 und 1945 getötet, etwa die Hälfte von ihnen waren Juden. Fast jede polnische Familie hat eine Geschichte zu erzählen, die von der Ermordung eines geliebten Menschen handelt, von einem im Krieg zerstörten Dorf oder von der Verschleppung zur Zwangsarbeit.

Ein Zeichen abseits der politischen Streitereien

Trotz der entsetzlichen deutschen Verbrechen in Polen sind Deutsche dort in den vergangenen Jahrzehnten mit offenen Armen und offenen Herzen aufgenommen worden. Das ist das eigentliche Wunder der deutsch-polnischen Aussöhnung. Beschämend ist hingegen, dass den meisten Deutschen ein Land, das nur 80 Kilometer von Berlin entfernt liegt, bis heute viel fremder geblieben ist als Frankreich. Umso wichtiger ist es, dass jetzt der Anstoß zu einem Denkmal für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung nicht von der Bundesregierung kommt, sondern aus der deutschen Gesellschaft.

Das deutsch-polnische Verhältnis hat sich drastisch abgekühlt, seit 2015 in Warschau die nationalkonservative Regierung an die Macht kam und im selben Jahr die Bundesregierung grünes Licht für die Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge gab. Ein weiteres Argument gegen ein Polen-Denkmal in Berlin lautet, die Initiative komme zum falschen Zeitpunkt. Soll man auf ein Land zugehen, in dem Politiker gerade darüber diskutieren, eine Rechnung mit Reparationsforderungen nach Berlin zu schicken? Diejenigen in Warschau, die von Deutschland ohnehin kaum Gutes erwarten, mutmaßen schon jetzt, mit der Denkmal-Debatte wolle man in Berlin nur vom Thema Reparationen ablenken. Das Misstrauen gegenüber Deutschland sollte aber niemanden an der Umsetzung des Projekts hindern.

Denn der Prozess der deutsch-polnischen Versöhnung ist zu wichtig, als dass dessen Fortgang davon abhängig gemacht werden darf, wer gerade in Warschau oder Berlin regiert. Der neue Bundestag könnte und sollte nun ungeachtet aller politischen Differenzen ein Zeichen setzen.

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