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© dpa

Ermittlungen: Kundus-Affäre: Noch kein Urteil

Die Generalbundesanwältin Monika Harms hat Ermittlungen gegen Oberst Georg Klein wegen des Kundus-Bombardements im September 2009 eingeleitet. Welche Folgen hat das für die Bewertung des Angriffs?

„Am 4. September um 1.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, Aufständische – die Red.) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten“. So lautet der Vermerk, den Oberst Georg Klein unmittelbar nach dem verhängnisvollen Bombardement am Kundus-Fluss angefertigt hat. Eine militärisch angemessene, vielleicht sogar notwendige Operation? Oder ein Kriegsverbrechen?

Zwischen diesen Polen und Begriffen verläuft die Debatte um den bisher fatalsten Einsatz der Bundeswehr in ihrer Geschichte. Am Donnerstag, im Untersuchungsausschuss, ging es um die Angemessenheit. Am Freitag, mit einem „Zwischenergebnis“ von Generalbundesanwältin Monika Harms, ist wieder das Strafrecht ins Zentrum gerückt.

Aus der Bombennacht von Kundus ist endgültig ein Präzedenzfall geworden. Oberst Klein ist jetzt Beschuldigter in einem Strafverfahren, der Erste, dem ein Kriegsverbrechen nach dem 2002 in Kraft getretenen Völkerstrafgesetzbuch vorgeworfen wird. Seitens der Bundesanwaltschaft ist nur von einem „Verstoß“ die Rede. Gemeint ist aber Paragraf elf unter dem Abschnitt „Kriegsverbrechen“, dort geht es um „verbotene Methoden der Kriegführung“. Die Tatbestände sind kompliziert, rechtlich wie sachlich. Wer es als „sicher erwartet“, heißt es da, dass sein Angriff mehr Zivilisten das Leben kostet, als es noch im Verhältnis zu einem militärischen Vorteil steht, wird mit mindestens drei Jahren Haft bestraft.

Ein schwerer Vorwurf. Dennoch wird allseits begrüßt, dass es nun eine Klärung gibt. Es geht der Bundeswehr dabei nicht nur um Klein, sondern um Grundsätzliches. Lange schwankte die Politik, wie sie die Sicherheitslage im Norden Afghanistans beschreiben sollte. Ein Bürgerkrieg? Ein kriegsähnlicher Zustand? Neben der politischen Bedeutung hat die Antwort juristische Konsequenzen. Wenn deutsche Soldaten im Auslandseinsatz Menschen verletzen oder töten, kann das zu einem Fall für die deutschen Staatsanwaltschaften werden, beispielsweise wegen fahrlässiger Tötung. So war es zunächst auch bei Klein, die Akte wanderte über Potsdam nach Leipzig und Dresden. Die Karlsruher Ermittler kamen erst ins Spiel, als deutlich wurde, dass die Lage in Afghanistan nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu beurteilen ist. Es spricht von „bewaffneten Konflikten“, und zwar internationalen wie nichtinternationalen. Sieht man es militärisch-praktisch, kann man es so zusammenfassen: Liegt so ein Konflikt vor, muss ein deutscher Soldat nicht wegen jedes toten Zivilisten im Ausland fürchten, in der Heimat mit einem Strafverfahren überzogen zu werden. Er kann auch mal zuschlagen.

War es so bei Klein? Oder hat er unverhältnismäßig, strafbar gehandelt? Dies muss Monika Harms’ zweite Ermittlungsabteilung – die erste ist für Terrorismus zuständig – jetzt herausfinden. Die Behörde hatte die Akten, darunter offenbar sämtliche Feldjäger- und sonstigen Ermittlungsberichte, monatelang geprüft, ohne ein förmliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. Zugleich hat sie sich erst vor wenigen Tagen festgelegt, sie sei zuständig, es handele sich um einen Konflikt nach Völkerstrafrecht. Hätte sie Klein schonen wollen, hätte sie auf Basis der Berichte die Prüfung abschließen und erklären können, warum kein Verfahren eingeleitet wird. Dass dies wahrscheinlicher als eine Anklage ist, ergibt sich aus dem Tatbestand: Klein selbst müsste die für mehr als hundert Menschen tödlichen Folgen der Attacke als „sicher erwartet“ haben – und zwar vor (!) dem Angriff. Dafür gibt es bislang keine öffentlich bekannten Indizien. Für die Frage ist es zudem nur wenig bedeutend, ob er gegen Dienstvorschriften verstoßen hat.

Trotzdem sehen die Ermittler Aufklärungsbedarf, wollen Zeugen und, wenn er sich nicht auf sein Schweigerecht beruft, wohl auch den beschuldigten Oberst Klein vernehmen. Dies alles aber vermutlich nicht zuletzt, um den Vorwurf zu vermeiden, nicht sorgfältig in alle Richtungen ermittelt zu haben. Ein Ermittlungsverfahren soll nach den Buchstaben des Gesetzes auch dazu dienen, den Beschuldigten entlastende Hinweise zu sammeln. Für Klein gilt ohnedies die Unschuldsvermutung bis zu einem rechtskräftigen Urteil.

Auf den Ausgang des Verfahrens muss man sich später berufen können, daher ist Gründlichkeit wichtig. Denn falls die Generalbundesanwältin die Ermittlungen einstellt, könnte ein anderer Staatsanwalt wieder erwägen, nach einfachem Strafrecht wegen fahrlässiger Tötung zu ermitteln. Eine Einstellungsverfügung ist noch kein Gerichtsurteil. Die Karlsruher Beamten müssen alle Zweifel an ihrer Zuständigkeit ausräumen.

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