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Politik: Erst ein Haar, jetzt der ganze Sartre

Ermittler im Fall Barschel nahm mehr Beweise mit

Kiel - Es begann mit einem nicht mehr auffindbaren Haar. Doch nun kommen weitere offenkundige Schlampereien im Umgang mit Asservaten ans Licht, die sich die Staatsanwaltschaft Lübeck im Fall des 1987 in einem Genfer Hotelzimmer tot aufgefundenen früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel geleistet hat.

Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) unterrichtete den Innen- und Rechtsausschuss des Kieler Landtages darüber, dass Jean-Paul Sartres gesammelte Werke, die in der Todesnacht im Barschels Genfer Zimmer von Ermittlern beschlagnahmt wurden, inzwischen Platz im privaten Bücherregal von Heinrich Wille gefunden hätten. Der pensionierte frühere Lübecker Chefermittler hat Schmalfuß zufolge zugegeben, dass er das Beweisstück zu sich nach Hause genommen hat. Das sei dem Vernehmen nach mit der Zustimmung der Witwe Freya Barschel geschehen. Neben dem fehlenden Haar und Sartre wurden bei Nachprüfungen alle weiteren Asservate vorgefunden, teilte Schmalfuß mit.

CDU und FDP hatten den Minister vor den Ausschuss zitiert, als in der Vorwoche bekannt wurde, dass ein fremdes Haar, das auf dem Kopfkissen im Genfer Barschel-Quartier entdeckt wurde, und nun einer modernen kriminaltechnischen Analyse auf DNA-Spuren durch das Landeskriminalamt in Kiel unterzogen werden sollte, verschwunden ist. In diesem Zusammenhang ist herausgekommen, dass die nummerierten Beweisstücke nach der Überführung von Genf nach Lübeck dort nicht ordnungsgemäß aufbewahrt wurden. Einige lagerten in einem gesonderten Zimmer, andere in einem Schrank in Willes Büro. Das habe gegen die Vorschriften verstoßen, unterstrich Schmalfuß. Jetzt wolle man klären, wer überhaupt Kenntnis von dieser Praxis, Zugang zu den Gegenständen und Schlüsselgewalt für die Aufbewahrungsorte hatte.

Die Auflistung der Behördenversäumnisse hat durchaus skandalöse Züge. So sei die Dokumentation über alle Beweisstücke aus dem Fall Barschel offenbar lückenhaft, so zumindest der bisherige Kenntnisstand des Ministers. Und als Wille im vergangenen Jahr in den Ruhestand ging, musste er nicht einmal die Abgabe seiner Dienstschlüssel quittieren.

Der Südschleswigsche Wählerverband, die Partei der dänischen Minderheit, und die FDP fordern nun rechtliche Konsequenzen gegen Wille. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, selbst Jurist, bezichtigt den früheren Chefermittler eines „unglaublichen Fehlverhaltens“. Schmalfuß kündigte eine Befragung Willes an. Das 1998 eingestellte Todesermittlungsverfahren zu Barschel werde nach derzeitigem Stand aber nicht wieder neu aufgenommen. Dieter Hanisch

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