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Politik: Erst mal nachdenken

Nach der doppelten Abfuhr für die EU-Verfassung ziehen die Staats- und Regierungschefs die Bremse

So viel Nachdenklichkeit war nie: Gut zwei Wochen nach den gescheiterten Referenden zur europäischen Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden versuchten die 25 Staats- und Regierungschefs der EU, sich einen Reim auf die Ablehnung des Vertragswerks in den beiden europäischen Gründungsstaaten zu machen. Der Gipfel in Brüssel hatte gerade begonnen, da sprach Frankreichs Staatschef Jacques Chirac das Problem offen an. „Mit einer gewissen Ernsthaftigkeit ergreife ich heute Abend das Wort“, begann der Franzose seine Rede im Kreis der übrigen Gipfelteilnehmer. Seine Landsleute hätten mit ihrem Nein zur EU-Verfassung signalisieren wollen, dass Europa ihnen künftig besser zuhören und sie besser schützen solle, fuhr er fort. „Es ist meine Pflicht, dieser neuen Situation Rechnung zu tragen.“ Nun will die EU nach der zweifachen Abfuhr für die EU-Verfassung erst einmal eine Denkpause einlegen.

Wie lange diese Pause sein soll und was sie für die Ratifizierung der EU-Verfassung in den übrigen EU-Staaten konkret bedeutet, blieb am Donnerstagabend zunächst offen. Beim Treffen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im belgischen Meise war die Rede davon, das Moratorium nicht länger als ein Jahr andauern zu lassen.

Auch wenn unklar ist, wie der „Plan B“ nach dem Scheitern der Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden im Detail aussieht, wollen sich die Staats- und Regierungschefs nach dem deutlichen Ausgang der Referenden in den beiden Ländern jedenfalls nicht taub stellen. „Wir können nicht so weitermachen, als sei nichts passiert“, sagte der dänische Regierungschef Anders Fogh Rasmussen. Zuvor hatte er angedeutet, dass das ursprünglich im September in Dänemark vorgesehene Referendum über die Verfassung möglicherweise verschoben wird. Bundeskanzler Gerhard Schröder schlug vor, im kommenden Frühjahr eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Nachdem sich der Gipfel am ersten Tag vor allem mit der EU-Verfassungskrise beschäftigte, steht heute in Brüssel der Streit um die Finanzen der Gemeinschaft im Mittelpunkt. Vor allem zwischen Chirac und dem britischen Regierungschef Tony Blair droht bei der Diskussion über den EU-Haushalt für die Jahre 2007 bis 2013 Streit. Die EU-Partner fordern von Blair Zugeständnisse beim so genannten Briten-Rabatt, der dem Königreich bei den Zahlungen in die EU-Kasse Erleichterungen in Milliardenhöhe sichert. Blair will in diesem Punkt aber nur einlenken, wenn auch Chirac Verzicht übt – und zwar bei den Agrarbeihilfen, von denen vor allem Frankreich profitiert.

Gibst du mir etwas, gebe ich dir etwas – auf den ersten Blick wirkte das Gipfel- Vorgeplänkel so wie immer. Nach Ansicht der Briten, die im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen, besteht gar kein Grund für Gipfel-Hektik. Es sei nicht nötig, bei dem Treffen in Brüssel einen Kompromiss zum EU-Haushalt übers Knie zu brechen, sagte der britische Botschafter in Paris, John Holmes. London wünscht sich vielmehr eine grundsätzliche Debatte über die Zusammensetzung des EU-Budget. Gegenwärtig fließen 40 Prozent der europäischen Ausgaben in den Agrarsektor. Bis 2013 soll dieser Anteil auf 33 Prozent sinken. Aus Sicht der Briten, die von der EU- Landwirtschaftspolitik weniger profitieren als Frankreich, ist das immer noch viel zu viel.

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