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Norbert Roettgen

© dpa

Atomausstieg: Erst mit einem Ruck und dann ganz langsam

Der von der Koalition ausgehandelte Gesetzentwurf für den Atomausstieg dürfte viele enttäuschen: Nach den ältesten Meilern geht zehn Jahre lang kein Reaktor mehr vom Netz. Die FDP hat eine "nukleare Kaltreserve" durchgesetzt.

Die 17 deutschen Atomkraftwerke werden nicht schrittweise, wie das von den Koalitionsspitzen beschlossen wurde, sondern zu drei festgelegten Terminen stillgelegt werden. Das ergibt sich aus dem Entwurf für die 13. Atomgesetznovelle, der dem Tagesspiegel vorliegt. Zunächst werden mit dem Tag des Inkrafttretens des neuen Atomgesetzes die sieben ältesten Atomkraftwerke und Krümmel stillgelegt. Theoretisch könnten die Atomkraftwerke Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser, Philippsburg 1 und Krümmel nach Ablauf des Moratoriums Mitte Juni bis zum Tag der Verkündung des Gesetzes noch einmal in Betrieb genommen werden. Allerdings müssten dem die zuständigen Atomaufsichtsbehörden zustimmen. Diese politische Hypothek würde wohl keine Landesregierung auf sich nehmen wollen.

Weitere sechs Atomkraftwerke werden zum 31. Dezember 2021 vom Netz gehen. Denn auf die Atomkraftwerke Grafenrheinfeld, Gundremmigen B und C, Philippsburg 2, Grohnde und Brokdorf dürfen die Kraftwerksbetreiber die nicht aufgebrauchten Strommengen der acht demnächst stillzulegenden Atomkraftwerke sowie Mühlheim-Kärlich übertragen. Da die Regierung zur von der rot-grünen Bundesregierung 2001 ausgehandelten Strommengendefinition pro Jahr zurückkehrt, die damals einen Volllastbetrieb unterstellt hat, reichen diese Strommengen aus, um alle sechs Meiler bis zum letzten Tag zu betreiben. Je mehr Wind- oder Sonnenstrom ins Netz eingespeist werden, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Atomkraftwerke tatsächlich unter Volllast laufen können. Sie dürften also im Gegenteil mit beschränkter Leistung betrieben werden, was es noch unwahrscheinlicher macht, dass sie vor Ende 2021 vom Netz gehen.

Die letzten drei Atomkraftwerke, Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 werden dann zum 31. Dezember 2022 stillgelegt. Die Bundesregierung plant offenbar nicht, für den Betrieb der neun verbleibenden Atomkraftwerke in den kommenden zehn Jahren konkrete Sicherheitsauflagen zu machen. Die Sprecherin des Bundesumweltministeriums, Christiane Schwarte, bestätigte, dass es Sache der Atomaufsichten der Länder sei, Sicherheitsauflagen zu machen. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima hatte es zunächst geheißen, die Empfehlungen der Reaktorsicherheitskommission würden zu einem Anforderungskatalog zusammengefasst. Das scheint vom Tisch zu sein. Der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) hat jedoch bereits eine Sicherheitsüberprüfung der Atomkraftwerke Philippsburg 2 und Neckarwestheim 2 nach dem Stand von Wissenschaft und Forschung angeordnet.

In der Atomgesetznovelle wird auch die „nukleare Kaltreserve“ geregelt, die Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) in der Koalitionsrunde durchgesetzt hatte. Im Gesetz wird die Bundesnetzagentur ermächtigt, „zur Abwehr einer Versorgungsstörung für lebenswichtigen Bedarf“ eine Anlage zu bestimmen, die bis zum 31. März 2013 betriebsfähig gehalten werden soll. Für diese Anlage würde bis dahin ein „Reservebetrieb“ genehmigt. Wer das bezahlen soll, ist allerdings unklar. Es ist kaum wahrscheinlich, dass die Bundesregierung einen Energiekonzern zwingen kann, rund 50 Millionen Euro im Jahr dafür aufzubringen, dass er mit einem Alt-Akw zwei oder drei Wochen im Jahr Strom erzeugen darf.

Die Deutsche Umwelthilfe (DHU) kritisiert den Gesetzsentwurf als „Ausstiegs- Moratorium“. Die im Gesetzentwurf behauptete „Zielsetzung“, „die Nutzung der Kernenergie zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beenden“ wird jedenfalls nicht erreicht. Das Umweltbundesamt (UBA) hat errechnet, dass der Atomausstieg bis 2017 möglich sei, ohne die Klimaschutzziele zu gefährden und ohne Wachstumsverluste für die Gesamtwirtschaft. Lediglich ein moderater Anstieg der Strompreise um 0,6 bis 0,8 Cent pro Kilowattstunde Strom bis 2030 wäre dafür zu bezahlen, schreibt das UBA.

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