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Politik: Erste Klagen in Karlsruhe gegen Neuwahlen

Grünen-Abgeordneter Schulz nennt den Präsidenten einen „Vollzugsbeamten“ des Kanzlers

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Der Berliner Grünen-Abgeordnete Werner Schulz wird gegen die Auflösung des Bundestags durch Bundespräsident Horst Köhler beim Verfassungsgericht klagen. Einen Tag nach der Neuwahl-Entscheidung Köhlers hat Schulz am Freitag seine Klage für kommende Woche angekündigt. Mit seiner Entscheidung für Neuwahlen habe sich der Bundespräsident zum „Vollzugsbeamten“ des Bundeskanzlers gemacht, warf Schulz dem Staatsoberhaupt vor. Wie der frühere DDR-Bürgerrechtler Schulz will auch die SPD-Abgeordnete Jelena Hoffmann in Karlsruhe klagen. Ein Urteil der Verfassungsrichter wird nicht vor Ende August erwartet. Köhler hatte am Donnerstagabend den Neuwahltermin für den 18. September angesetzt.

Schulz bezeichnete die von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) am 1. Juli herbeigeführte Vertrauensfrage als „verfassungswidrigen Vorgang“. Schröder könne das Misstrauen der Mehrheit im Parlament nicht nachweisen. Das „gefühlte Misstrauen“ eines Bundeskanzlers dürfe nicht ausreichen, „um ein Parlament nach Hause zu schicken“, sagte Schulz. „Das wäre ein Stück Weimar in Berlin.“ Dem Regierungschef warf Schulz vor, sich „mit einer fingierten Abstimmung“ aus der Verantwortung geschlichen und dafür mehr als 100 Koalitionsabgeordnete zu „Fluchthelfern“ gemacht zu haben. Dass sich der Bundespräsident der Auffassung von Schröder später angeschlossen habe, bedauere er sehr, sagte Schulz. „Er hat dem politischen Druck nicht widerstanden.“

Schulz widersprach der Einschätzung von Schröder und Köhler, Deutschland befinde sich in einer Staatskrise, die Neuwahlen erfordere, damit sich eine neue Bundesregierung auf eine tragfähige Mehrheit stützen kann. Vom Verfassungsgericht erhoffe er dafür Bestätigung, damit sich „kein Scheunentor öffnet“ und „jeder Bundeskanzler fortan das Parlament auflösen kann“. Unter Verfassungsjuristen ist diese Auffassung allerdings umstritten. Schulz’ Anwalt, der Mannheimer Staatsrechtler Wolf-Rüdiger Schenke, sagte dem Tagesspiegel, „wenn das Bundesverfassungsgericht unsere Klage zurückweist, verfestigt sich eine für die politische Stabilität verhängnisvolle Staatspraxis. Wir hätten eine Verschiebung von repräsentativer zu plebiszitärer Demokratie, und die Stellung des Bundespräsidenten würde geschwächt.“ Kanzler Schröder habe am Abend der NRW-Wahl Ende Mai mit der Neuwahl-Ankündigung eine Art Wahlversprechen abgegeben, ohne sich ausreichend rechtlich beraten haben zu lassen.

Gegen den frühen Wahltermin legten bereits am Freitag zwei kleinere Parteien Klageschriften in Karlsruhe vor. Die Bundesregierung sieht den Klagen nach Worten ihres Sprechers Thomas Steg „mit großer Gelassenheit“ entgegen. Vertreter aller Parteien begrüßten am Freitag die Neuwahl-Entscheidung des Staatsoberhauptes. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sagte, Köhlers Entscheidung sei „richtig und souverän“. Ziel der SPD sei es nun, mehr als 35 Prozent der Wählerstimmen zu gewinnen. Einer großen Koalition erteilte Clement eine Absage. „Wir müssen die SPD stärken und in eine bessere Position bringen.“ Dies schaffe man nicht durch Koalitionsdebatten, sondern indem die SPD um mehr Unterstützung ihres Kurses für Wachstum und Beschäftigung werbe. Der niedersächsische SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel warnte seine Partei davor, die Unterschiede zur Union im Wahlkampf zu verwischen, „indem man mit Gedanken an die große Koalition spielt“. Nach einer Umfrage von Infratest dimap wollen 42 Prozent der Wahlberechtigten ein Bündnis aus Union und SPD.

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