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Begeisterung auf beiden Seiten: Martin Schulz (SPD) bei der Wahlkampfveranstaltung im niedersächsischen Cuxhaven.

© Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Erster Auftritt des SPD-Chefs nach der Wahl: Martin Schulz in Cuxhaven gefeiert

Minutenlanges Klatschen trotz schlechtestem Wahlergebnis aller Zeiten: In nur 19 Minuten redet der SPD-Vorsitzende im niedersächsischen Wahlkampf die Zweifel der Basis weg.

Von Hans Monath

Er hat noch kein Wort gesagt, da feiern sie ihn schon. Als Martin Schulz in die Kugelbake-Halle im Norden von Cuxhaven vom Seiteneingang auf die Bühne zuläuft, springen Hunderte von Sozialdemokraten von ihren Stühlen auf. Minutenlang klatschen sie dem gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten zu, manche johlen sogar.

Der SPD-Chef, inzwischen oben auf der Bühne angekommen, lacht, schüttelt den Kopf, versucht den Jubel mit abwehrenden Handbewegungen zu dämpfen. Doch die Genossen wollen gar nicht aufhören. Und dann steigern sie sich in einen rhythmischen Applaus hinein, der Minuten dauert.

Martin Schulz hat vor zehn Tagen mit 20,5 Prozent das historisch schlechteste SPD-Wahlergebnis eingefahren hat – und jetzt bejubeln sie in hier in Niedersachsen bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit dem Wahltag?

Weil nutzt jede Gelegenheit, um Schulz zu loben

Kann der angeschlagene Bundesvorsitzende im hohen Norden wirklich neuen Schub für Spitzenkandidat Stephan Weil bringen, der am 15. Oktober seine Macht in Hannover verteidigen will? Wenn der amtierende Ministerpräsident danach gefragt wird, lässt er jedenfalls keine Gelegenheit aus, um Martin Schulz als den Mann zu loben, der die jetzt ausgerufene Erneuerung der SPD anpacken und erfolgreich leiten könne.

Andere in der Partei geben dem gescheiterten Kanzlerkandidaten gerade noch eine Übergangszeit. Stephan Weil und seine Niedersachsen-SPD,  so sagen sie, fürchten im Moment kaum etwas so sehr wie Machtkämpfe und Chaostage rund um die Berliner Parteizentrale, die dann die Schlagzeilen bestimmen würden und ihnen im Landtagswahlkampf das Spiel vermasseln würden. Denn die SPD im Land zwischen Göttingen und Cuxhaven hat gerade aufgeholt, liegt gleichauf mit der CDU und ihrem Spitzenkandidaten Bernd Althusmann. Wenn alle nur auf die streitenden Berliner Genossen schauen, würde das alle Aufmerksamkeit von Weil abziehen und seine Aufstellung kaputtmachen.

Es ist sogar ein bisschen paradox: Der Verlust der Bundestagswahl hat die Chancen der niedersächsischen Genossen erhöht. Viele Wählerinnen und Wähler haben ihr Kreuz bei Angela Merkel gemacht, jetzt aber geht es um die rot-grüne Landesregierung, mit der viele Bürger ganz zufrieden scheinen, wie die Umfragen sagen. Er sei froh, dass die Wähler zwischen Bundesebene und Landesebene genau unterscheiden würden, wird Stephan Weil wenig später in seiner sehr kämpferischen Rede sagen. Und jetzt gehe es nur noch um Niedersachsen.

Schulz spricht davon, die Niederlage wegzustecken

Doch ausgerechnet wenige Tage vor dem Wahlkampfauftakt in Cuxhaven hat der „Spiegel“ die Frage nach Schulz noch einmal mit Macht aufgeworfen – auch die Frage danach, ob der Mann aus Würselen hart genug ist für einen Spitzenjob in der Bundespolitik. Ein Spiegel-Reporter, der den Kanzlerkandidaten monatelang aus der Nähe beobachtete, zeichnet in seinem Artikel das Bild eines zutiefst verunsicherten Menschen, der häufig an sich zweifelt, manchmal auch übers Hinschmeißen redet.

Hat der Artikel den SPD-Vorsitzenden getroffen? In der Wahlkampfhalle in Cuxhaven jedenfalls  erwähnt er den Text gar nicht. Nur ganz allgemein sagt er, nach der Niederlage sei man „down“, oder, wie er als Nordrheinwestfale sage: „Hängen im Schacht.“ Die Aufgabe laute: „Du hast die Niederlage wegzustecken.“ Am Wahlabend hatte Schulz seinen Rücktritt erwogen, das hat er selbst vergangene Woche in einem Brief an die Parteimitglieder erzählt. Doch ist er überhaupt noch frei in seinen Entscheidungen? Jedenfalls scheinen die Zwänge, unter denen er jetzt agieren muss, kaum geringer geworden als die während seiner eigenen Kandidatur. Schulz weiß: Würde er vor der Niedersachsen-Wahl zurücktreten, würde er nicht nur als der SPD-Kanzlerkandidat mit dem schlechtesten Wahlergebnis seit 1949 in die Geschichte eingehen, sondern wahrscheinlich auch als ein SPD-Chef, der eine aussichtsreiche Landtagswahl in den Sand gesetzt hat. Egal, wie es in ihm aussieht: Er muss durchalten – mindestens bis zum 15. Oktober.

Eine Rede im Rekordtempo

Doch wenn ihn solche Gedanken tatsächlich umtreiben sollten – anmerken lässt es sich Schulz in seiner Rede in Rekordtempo nicht. In wenigen Minuten ist er von der verlorenen Bundestagswahl und dem Versprechen einer Erneuerung der SPD schon bei der Niedersachsen-Wahl und bei seinen alten Themen und emotionalen Versatzstücken: Mit dem Bauch und dem Herzen müsse die SPD die Menschen verstehen, sie müsse ihnen zuhören, Respekt vor ihrer Lebensleistung zeigen. Und dann heizt er den Zuhörern weiter ein: Was die Niedersachen-SPD im Wahlkampf leiste, sei wichtig für die ganze Republik: „Das zeigt, dass eine kämpfende Partei gewinnen kann.“

Vor dem Auftritt von Martin Schulz im Foyer der Halle waren die Meinungen der Genossen noch geteilt gewesen. Manche schüttelten nur stumm den Kopf, wenn man sie fragte, ob Schulz als Parteichef noch eine Chance habe. Andere plädierten dafür, dass genau er die Erneuerung steuern  könne. Im Saal ist von den Zweifeln der Basis nichts mehr zu spüren. Der Parteichef scheint sie in nur 19 Minuten weggeredet zu haben.

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