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Politik: Es darf wieder geklagt werden

Schon in zwei Monaten könnte Italiens Premier Berlusconi wieder vor Gericht stehen – er droht mit Neuwahlen

Italien am Tag danach. Dem Tag nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts, dass das von der Regierung Berlusconi auf den Weg gebrachte Immunitätsgesetz verfassungswidrig ist. Italiens Ministerpräsident wittert wie so oft eine politische Kampagne gegen sich. Die römischen Verfassungsrichter seien „links unterwandert“, hieß es aus seinem Umfeld. Er selbst kommentierte das Urteil mit der Bemerkung, dass sich „starke Kräfte gegen mich auflehnen“. Nach dem Urteil muss Silvio Berlusconi damit rechnen, bald als Angeklagter vor Gericht erscheinen zu müssen. Das Gesetz sah vor, dass gegen die fünf höchsten Staatsautoritäten während ihrer Amtszeit nicht prozessiert werden darf. Damit ist es nun vorbei und die zuvor eingestellten Korruptionsprozesse gegen Berlusconi können wieder aufgerollt werden.

Der Ministerpräsident kehrte erst am Dienstagabend aus seinen langen Weihnachtsferien nach Rom zurück. Die Entscheidung der Verfassungsrichter kommt für ihn in einem denkbar schlechten Augenblick. Die Parteien des Mitte-Rechts-Bündnisses fordern seit Tagen eine grundlegende Diskussion über den Fortbestand der Koalition. Die Lega Nord setzt sich für ein norditalienisches Parlament und mehr politische Autonomie Norditaliens ein. Die Nationale Allianz hingegen will genau das verhindern und droht mit einem Ausstieg aus der Koalition. Silvio Berlusconi spricht bereits von Neuwahlen. „Wenn die Dinge so stehen, dann ist es besser, zu den Urnen zu schreiten“, zitierte ihn die Zeitung „Corriere della Sera“. Der Regierungschef habe auf einer Kabinettssitzung erwogen, ob die Parlamentswahl gleichzeitig mit der Europawahl im Juni stattfinden könnte, schrieb das Blatt.

Bereits in zwei Monaten könnte laut Medienberichten ein im Juli 2003 eingestelltes Verfahren gegen Berlusconi wieder aufgenommen. Dabei geht es um Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Verkauf des Lebensmittelmultis SME. Berlusconi soll römische Richter mit hohen Geldsummen geschmiert haben, damit sie in seinem Sinne urteilen, so der Vorwurf. Auch in anderen Fällen könnten Verfahren gegen den Premier eröffnet werden. Mailänder Untersuchungsrichter haben sich in zwei Fällen an den Verfassungsgerichtshof gewandt, um Hilfe bei der Aufklärung von Bilanzfälschungsvorwürfen zu erhalten. Bevor sie einen Prozess gegen Berlusconi anstreben konnten, war dieser Tatbestand unter der amtierenden Regierung zum Kavaliersdelikt erklärt worden. Die Untersuchungsrichter halten auch dieses Gesetz für verfassungswidrig, weil es auf Berlusconi zugeschnitten ist.

Beim Streit um das Immunitätsgesetz könnte aber auch Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi unter Druck geraten. Berlusconi weist nach italienischen Medienberichten darauf hin, dass Ciampi das Gesetz gegengezeichnet hatte. Warum Ciampi dies tat, obwohl Verfassungsrechtler ihm davon abrieten, ist bis heute unklar. Gut informierten Kreisen zufolge soll Berlusconi Ciampi erpresst haben. Der Sohn des Präsidenten soll in die Affäre um den Verkauf der Telecom Serbien verwickelt sein, bei der Schmiergelder geflossen sein sollen. Es wird nicht ausgeschlossen, dass die Regierungskommission, die den Fall untersucht, Ciampi mit unangenehmen Veröffentlichungen über seinen Sohn gedroht hat.

Thomas Migge[Rom]

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