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Politik: „Es fehlt die Vision“

Militärhistoriker Klaus Naumann sieht Reformbedarf bei der Inneren Führung und fordert eine neue Verbindung zwischen Bürgern und Uniformträgern.

Herr Naumann, eine Umfrage hat ergeben, dass sich die Führungskräfte der Bundeswehr beim Umbau der Truppe übergangen fühlen. Ist das Prinzip der Inneren Führung bei der Reform auf der Strecke geblieben?

Klar ist, die Kommunikation funktioniert nicht. Es gibt eine große Unzufriedenheit mit dem Verlauf der Reform und den Zielvorgaben. Vielen Soldaten fehlt eine Vision. Die Frage lautet: Was wollen wir mit der Bundeswehr? Interessant ist aber, dass gleichzeitig nur wenige Führungskräfte der Bundeswehr Handlungsbedarf beim Thema Innere Führung sehen. Das bedeutet, dass die Soldaten dieses Instrument gar nicht als Mittel der Kommunikation erkannt haben.

Welche Rückschlüsse auf die Reform lassen sich daraus ziehen?

Unter dem Strich heißt das, die Reform ist nicht gut genug begründet worden. Das muss nachgeholt werden. Und mit der Nachbesserung der Reform muss auch das Prinzip der Inneren Führung nachgebessert werden. Dabei muss klar werden, dass es nicht nur in der Phase des Umbaus wichtig ist, sondern grundsätzlich.

War das Prinzip der Inneren Führung vielleicht nie mehr als eine Worthülse?

Dieser Eindruck drängt sich auf. Es gab ja immer die Diskussion, ob die Innere Führung nur ein Rezept zur Integration des einfachen Soldaten in eine Bürgerarmee war, ein Rezept zum vernünftigen Umgang mit Wehrpflichtigen. In diesem Sinne hat einer der Väter des Begriffs, Wolf von Baudissin, die Innere Führung einmal als Mittel zur Verbesserung des Betriebsklimas in der Truppe bezeichnet. Zugleich ist sie jedoch auch ein Führungsinstrument ersten Ranges, ohne das der Umbau der Armee nicht funktionieren wird. Bei den Führungskräften der Bundeswehr scheint das aber noch nicht angekommen zu sein.

Taugen die alten Grundsätze überhaupt noch für eine professionelle Einsatzarmee?

Die Innere Führung gehört zur inneren Verfassung der Bundeswehr. Kern ist die Klarheit und Reflexion des Auftrages und – innerhalb der Grenzen des militärisch Verträglichen – der Austausch über dessen Sinn und Zweck. Das sollte in einer Einsatzarmee genauso gut funktionieren wie in einer Friedensarmee. Doch der Übergang von der Landesverteidigung auf die Auslandseinsätze bedeutet, dass der Soldat nun noch enger an die Staatsführung heranrückt. Denn anders als im Verteidigungsfall wird die Einsatzpolitik immer optionaler. Man zieht in den Krieg, oder man lässt es bleiben. Gewiss, die Streitkräfte sind ein ,Instrument der Politik‘. Die Soldaten dürfen aber niemals zum Instrument werden.

Sind sie künftig dennoch mehr Staatsdiener als Staatsbürger in Uniform?

Es gibt keine Wehrpflicht mehr, es gibt weniger Standorte, die Soldaten verschwinden aus dem Stadtbild und sind lange von zu Hause weg. Damit wird die Distanz zur Gesellschaft automatisch größer. Hinzu kommt, dass die Konflikte, um die es geht, für die Gesellschaft nicht existenziell sind. Auch wenn der Einsatz in Afghanistan schiefgeht, wird dies unsere Lebensweise nicht beeinträchtigen. Die existenzielle Klammer zwischen Gesellschaft und Armee, die im Verteidigungsfall besteht, gibt es nun nicht mehr. Umso mehr muss nun Wert darauf gelegt werden, dass der Soldat erklären und auch begründen kann, was er macht. Es muss nachvollziehbar werden, was da draußen los ist.

Was bedeutet das konkret für die Soldaten?

Ich sehe derzeit die Tendenz, die Soldaten an der kurzen Leine zu halten. Damit erweist man der Sicherheitspolitik keinen guten Dienst. Denn in den erfahrenen Führungskräften der Bundeswehr hätte die Politik berufene Erklärer der Sicherheitspolitik und ihrer Weiterentwicklung. Dieses Potenzial wird nicht genutzt.

Wer ist dafür verantwortlich?

Verteidigungsminister de Maizière sagt: Die Neuausrichtung läuft, die Richtlinien sind da, jetzt ist unser interner Diskussionsbedarf beendet und wir möchten eine öffentliche Debatte. Ich sehe aber die Notwendigkeit, dass sich die Offiziere an der gesellschaftlichen Diskussion offensiv beteiligen. Denn wenn es der Führung nicht gelingt, den Wandel nach außen zu kommunizieren, wird ihr das im Inneren erst recht nicht gelingen.

Auch der Vater von de Maizière gehört zu den Vätern der Inneren Führung. Hat der Sohn ihn vielleicht nicht richtig verstanden?

Das möchte ich nicht unterstellen. Beide kann man als außerordentliche Pflichtmenschen beschreiben, die nach innen einen kommunikativen Führungsstil pflegen beziehungsweise pflegten. Nach außen hin werden aber nur offizielle Verlautbarungen abgegeben.

Will die Bevölkerung denn überhaupt so genau wissen, was in den Einsätzen passiert? Es herrscht doch eher ein „freundliches Desinteresse“ gegenüber den Soldaten und Einsätzen?

Dieses Diktum macht die Runde und wird beharrlich wiedergekäut. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die Bürger sind heute sehr viel besser über die Bundeswehr informiert als früher, über die Medien und die Soldaten selbst. Was immer wieder neu hergestellt werden muss, ist die Legitimation ganz konkreter Einsätze.

Wie kann man ein Auseinanderdriften von Gesellschaft und Armee verhindern?

Wir brauchen eine Klammer des sozialen Dienens, ein Konzept der Freiwilligendienste insgesamt. Diese Debatte geht weit über die Bundeswehr hinaus. Im Fall der Bundeswehr müsste dafür zunächst anerkannt werden, dass auch der Militärdienst ein am Gemeinwohl orientierter Dienst ist.

Die Fragen stellte Ulrike Scheffer.

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