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Politik: „Es geht auch um das Ego der Forscher“

Pharmachef: Wissenschaftler wecken aus Eigeninteresse falsche Hoffnungen auf neue Therapien / Embryonale Stammzellen „nicht relevant“

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) will eine Lockerung des Stammzellgesetzes. Der Stichtag zur Gewinnung embryonaler Stammzellen etwa müsse abgeschafft werden. Fordern Sie das auch?

Grundsätzlich wäre gegen eine einmalige Verschiebung nichts einzuwenden – wenn es dafür gute Gründe gibt. Wenn sich die Forscher aber darauf verlassen können, dass es immer neue Verschiebungen gibt, wird das Gesetz in seinem ethischen Charakter wesentlich ausgehöhlt.

Die Begründung der Wissenschaftler lautet: Die alten Zelllinien taugen nichts, therapiebetonte Forschung ist damit gar nicht mehr möglich.

Die wesentlichen Ansätze für neue Therapien kommen aus einem anderen Bereich: dem der adulten Stammzellen. Darüber spricht kaum jemand. Nabelschnurblut etwa, aus dem man auch sehr variable Stammzellen gewinnen kann, ist in ausreichendem Umfang verfügbar, und diese Zellen sind für die Arzneimittelindustrie wirklich bedeutsam. Die Verarbeitung embryonaler Stammzellen hingegen ist aus Pharmasicht heute nicht relevant.

DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker sagt: Die Hoffnungen auf die Gleichwertigkeit adulter Stammzellen hätten sich nicht erfüllt.

Das sehe ich ganz anders. Es ist ja die Frage, welche Hoffnungen die Forscher hatten. Unsere Hoffnungen – nämlich Fortschritte bei der Regeneration von Gewebe, die Möglichkeit Zellbanken anzulegen – haben sich durchaus erfüllt. Und wir sind ja erst höchstens 25 Prozent des Weges gegangen. Was wir bei adulten Stammzellen nicht lernen, werden wir bei embryonalen auch nie lernen. Hinzu kommt: Bei embryonalen Stammzellen besteht die Gefahr von Abstoßungs- und anderen schwerwiegenden Reaktionen. Und die Passagen, durch die diese Stammzellen gehen müssen, bergen das Risiko, schon ganz früh kontaminiert zu werden. Problemloser ist es, adulte Zellen unter Beachtung der Vorschriften zur Herstellung zu vermehren und beim Spender zu reimplantieren. Der Nutzen für Patienten ist hier viel höher.

Warum drängen die Forscher dann so beim Thema embryonale Stammzellen?

Weil da die experimentelle Breite deutlich größer ist – also auch die Möglichkeiten, Gelder zu erhalten und Neues zu publizieren. Embryonale Stammzellen sind auch nicht, aus eher hinsichtlich des Spenders anonymen Gewebebanken stammend, gebunden an Patientenzustimmung, sie müssen nicht zur Behebung von Erkrankungen unmittelbar zweckbestimmt und zurückgeführt werden. Ich würde sagen: Zu 75 Prozent geht es bei den Forderungen auch um das Eigeninteresse, das Ego der Forscher. Natürlich soll Forschung frei und nicht zweckgebunden sein. Allerdings hat sie sich innerhalb der gesellschaftlich akzeptierten Rahmenbedingungen abzuspielen.

Ohne embryonale Stammzellforschung keine neuen Medikamente, etwa gegen Diabetes, Alzheimer oder Parkinson. Wie berechtigt ist diese Argumentation?

Man sollte nicht so tun, als hänge das Heil der Patienten an der Forschung mit embryonalen Stammzellen. Medizinisch ist davon nur in ganz wenigen Bereichen etwas zu erwarten – vielleicht zur Unterstützung von Keimbahntherapien, die aber gesellschaftlich bisher keineswegs akzeptiert sind. Und kurzfristig ist die Hoffnung auf neuartige Therapien sowieso verfehlt. Bis ein Arzneimittel alle Genehmigungsprozesse durchlaufen hat, vergehen mindestens zehn Jahre.

Also haben Forscher der Öffentlichkeit etwas vorgemacht?

Das ist eindeutig im Wecken von Hoffnungen auf kürzeste Zeiträume für die Behandlung bisher nicht therapierbarer Erkrankungen in der Vergangenheit so gewesen. Man hat die Öffentlichkeit in die Irre geführt. Selbst Altbundespräsident Roman Herzog wurde mit Blick auf das von seiner Frau aufgebaute Versorgungswerk für Mukoviszidosekranke suggeriert, dass es schon in zwei Jahren Medikamente gegen diese Krankheit geben werde. Das war im Jahr 2002. Tatsächlich sind wir von entscheidenden Fortschritten unverändert weit entfernt.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

Bernd Wegener ist Vorstandschef des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Daneben leitet er die Brahms AG, ein Biotechnologie-Unternehmen in Hennigsdorf bei Berlin.

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