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Politik: „Es geht nicht um ein Kürlaufen“ SPD-Kandidat Schulz über die Europawahl

Herr Schulz, wie scharf werden Sie die Union, den Koalitionspartner Ihrer eigenen Partei im Bund, im Wahlkampf vor der Europawahl am 7. Juni attackieren?

Herr Schulz, wie scharf werden Sie die Union, den Koalitionspartner Ihrer eigenen Partei im Bund, im Wahlkampf vor der Europawahl am 7. Juni attackieren?

Es geht nicht ums Attackieren, sondern darum, unser eigenes Programm zu beschreiben. Wir haben dabei eine sehr gute Ausgangslage. Die Themen, die wir auf nationaler Ebene diskutieren, haben schließlich auch eine europapolitische Bedeutung: Mindestlöhne, die Regulierung der Finanzmärkte, die Begrenzung von Managergehältern. Da kann man ganz gut testen, ob die Union bereit ist, die Vereinbarungen auf europäischer Ebene umzusetzen, die sie national mit uns eingeht. Seit ein paar Monaten erlebt die Union eine plötzliche Sozialdemokratisierung. Wir wollen einmal sehen, ob diese plötzliche Wandlung auch in konkrete Gesetzesarbeit umgesetzt wird.

Werden Sie im Wahlkampf am europapolitischen Nimbus der Kanzlerin kratzen?

Frau Merkel steht im Juni ja nicht zur Wahl. Ich weiß auch nicht, inwieweit sich Frau Merkel in diesem Europawahlkampf engagieren und exponieren wird. Die Entwicklung der Debatte in unserem Lande zeigt mir, dass die Menschen sehr bereit sind, über konkrete Problemlösungen zu reden. Es geht nicht um ein Kürlaufen einzelner Figuren auf der europäischen Ebene.

Hat die SPD- Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Gesine Schwan, recht mit ihrer Warnung vor einer explosiven Stimmung in der Bevölkerung angesichts der Wirtschaftskrise?

Deutschland ist strukturell besser aufgestellt als andere Länder. Die Sozialpartnerschaft, das Mitbestimmungsmodell, das wir in diesem Land entwickelt haben, übrigens auch die Ausdehnung des Kurzarbeitergeldes durch Arbeitsminister Scholz: All das hat dazu geführt, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt weiterhin sehr stark bleibt.

Wenn man sich Ihre jüngsten Äußerungen anhört, dann scheinen Sie einen Lieblingsfeind zu haben – die EU-Kommission.

Von Liebling kann überhaupt keine Rede sein. Die EU-Kommission in ihrer jetzigen Form ist eine Vereinigung von mehrheitlich marktradikalen und konservativen Kräften. Ich stelle mir für die Europäische Union eine andere sozialpolitische Ausrichtung vor.

Was werfen Sie der EU-Kommission konkret vor?

Es wären zu einem früheren Zeitpunkt Initiativen möglich gewesen, um Private Equity und Hedgefonds stärker zu regulieren. Es wäre auch möglich gewesen, die Bilanzrichtlinien in Europa strenger zu definieren. Damit wären spekulative Fonds verpflichtet gewesen, ihre Risiken stärker auszuweisen oder höhere Rückstellungsquoten in ihren Bilanzen aufzuführen. Doch zu all dem war die Kommission nicht bereit. Sie hat sich auch geweigert, eine Richtlinie für Ratingagenturen zu erlassen. Dies hat wesentlich dazu beigetragen, dass das, was wir jetzt erleben, überhaupt erst möglich geworden ist.

Es ist gut möglich, dass EU-Kommissionspräsident Barroso auch für die nächste Amtszeit sein Mandat behält. Würden die Sozialdemokraten im Europaparlament einer Wahl Barrosos zustimmen?

Wer auch immer der Kandidat für den Posten des nächsten Kommissionspräsident wird: Ohne klare sozialpolitische Zusagen gibt es auch keine Stimmen von den Sozialdemokraten.

Zur EU-Erweiterung: Kann Kroatien Mitglied der Gemeinschaft werden, ohne dass die EU ihre innere Reform bewerkstelligt hat, also der Lissabon-Vertrag in Kraft ist?

Die EU ist ohne die Reformen, die im Lissabon-Vertrag vorgesehen sind, nicht mehr erweiterungsfähig. Kroatien kann auf der Basis der gegenwärtigen Vertragslage in der EU, also mit dem Nizza-Vertrag, sicher nicht der EU beitreten. Das wissen übrigens auch die Kroaten am besten– sie haben nämlich vorab schon den Lissabon-Vertrag ratifiziert.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

Martin Schulz

ist SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl und Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Europaparlament. Seit 1994 gehört er dem EU-Parlament an.

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