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Politik: Es geht uns zu gut

Von Alfons Frese Gut, dass Gerhard Schröder noch Otto Schily hat. Der Unerbittliche, der unser aller Sicherheit gewährleistet, ist inzwischen der einzige SPDMinister in der Regierung, mit dem der Kanzler in den Wahlkampf ziehen kann.

Von Alfons Frese

Gut, dass Gerhard Schröder noch Otto Schily hat. Der Unerbittliche, der unser aller Sicherheit gewährleistet, ist inzwischen der einzige SPDMinister in der Regierung, mit dem der Kanzler in den Wahlkampf ziehen kann. Dagegen hat der Mann des Jahres 2000, der Sparkommissar und Steuerreformer Hans Eichel, die Strahlkraft verloren. Einst zeichnete die Finanzpolitik die rot-grüne Regierung aus, und der Finanzminister Eichel als Ersatz für Oskar Lafontain war Schröders beste Personalentscheidung. Das ist Schnee von gestern. Eichel ist inzwischen der Mann für die schlechten Nachrichten. Immer wieder musste er im vergangenen Jahr die Wachstumsprognosen nach unten korrigieren, dann erhöhte er Tabak- und Versicherungssteuern, um die Sicherheitsmaßnahmen nach dem 11. September zu finanzieren.

Vor drei Monaten konnte Eichel nur um Haaresbreite und mit dem wagemutigen Versprechen, die öffentlichen Haushalte bis 2004 nahezu auszugleichen, einen blauen Brief aus Brüssel verhindern. Vorwurf der EU-Kommission: Die Deutschen missachten den Stabilitätspakt, den sie selbst erfunden haben. Und jetzt nehmen Bund, Länder und Gemeinden in den kommenden vier Jahren auch noch 65 Milliarden Euro weniger ein als ursprünglich veranschlagt. „Wir haben den Haushalt im Griff“, sagt Eichel.

Für den Bundeshaushalt mag das zutreffen. Doch vor allem Städte und Gemeinden pfeifen aus dem letzten Loch, weil die Einnahmen aus der Gewerbesteuer drastisch sinken. Da die Kommunen aber ausgeglichene Haushalte vorlegen müssen, bleibt ihnen nur der Ausweg über höhere Schulden oder geringere Investitionen. Nach Angaben des Städtetages werden die Investitionen in diesem Jahr rund ein Drittel geringer sein als vor zehn Jahren; entsprechend erbärmlich sehen viele kommunale Einrichtungen auch aus.

Wenn die Schulden nicht erhöht werden dürfen und die Ausgaben auch nicht wirklich gravierend gekürzt werden können, dann braucht man höhere Einnahmen. Der Staat nimmt mehr ein, wenn es Wachstum gibt. Und das ist nicht in Sicht, jedenfalls nicht in einer Größenordnung von mehr als drei Prozent, die tatsächlich mehr Arbeitsplätze und Steuern bringen würde. Die deutsche Wirtschaft bewegt sich so träge wie kaum eine zweite in Europa. Keine Spur von Dynamik. Im Gegenteil, Verdruss und Missmut allerorten. Bei den Konsumenten insbesondere, die auf dem Geld sitzen. Der Handel spricht vom schlimmsten Jahresanfang seit 50 Jahren. Wo aber nichts gekauft wird, da fällt auch keine Umsatzsteuer an – und Eichel fehlen wieder ein paar Milliarden mehr. Milliarden, die gut in die Schulen und Hochschulen investiert wären. Seit Pisa wissen wir, dass unser Bildungsniveau mittelmäßig ist.

Doch nicht nur das Bildungssystem ist verkümmert, die Gesellschaft insgesamt tritt auf der Stelle und sperrt sich gegen Veränderungen. Wie anders sind sonst die programmatische Armut und der fehlende Mut in den Wahlprogrammen zu erklären? Nach dem Reformstau unter Kohl und ein paar Neuerungen unter Schröder haben es sich die Politiker und ihre Bürger wieder in der Mitte gemütlich gemacht. Warum auch nicht, dem Mittelstand geht es ja auch einigermaßen. Wahrscheinlich geht es den meisten noch zu gut, so dass die fälligen Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen nicht durchsetzbar sind. Doch das wird bald anders, wenn allein auf Grund der demografischen Entwicklung Renten- und Gesundheitspolitik verändert werden müssen. Dann wird auch das Wachstum der Wirtschaft wieder so viel abwerfen, dass der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Egal ob mit einem Kanzler Schröder oder Stoiber.

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