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Politik: „Es gibt harte Schill-Erwartungen an Beust“

Der Parteienforscher Joachim Raschke über die extrem unterschiedlichen Wähler der CDU, die Gefahr des Scheiterns – und wie der Wahlsieg Angela Merkel helfen kann

Bei der Abwahl der SPD 2001 konnte man noch einen EinmalEffekt vermuten. Ist jetzt aus dem roten Hamburg eine Festung der Union geworden?

Nein. Hamburg ist noch keine christdemokratische Stadt, hier erodiert vielmehr eine sozialdemokratische Hochburg. In Hamburg haben sich über 15 Jahre hinweg die Bindungen an die Sozialdemokratie gelöst. Aber auch die CDU musste in den 90er Jahren mit einer extrem vagabundierenden Wählerschaft fertig werden, die einmal die Statt-Partei wählte, dann Schill. Diese Wähler hat von Beust jetzt eingesammelt. Es wird sich zeigen, ob er sie dauerhaft an sich binden kann. Die CDU-Wähler sind extrem heterogen, darin liegt eine große Gefahr des Scheiterns. Es gibt harte Schill-Erwartungen an von Beust, aber auch liberale und soziale Erwartungen.

Der Zuwachs der CDU ist der größte für eine Partei in der Nachkriegszeit. Entwickelt sich da eine neue Republik, ein neuer Wähler? Ungebundener denn je, bereit zum Wechsel?

Manche Wähler haben eine lange Wanderung hinter sich: Sie wählten mal nicht, und mal Rechtsradikale. Diese Leute waren froh – und das war von Beusts Chance – jetzt unterzukommen, auch wenn das Angebot der CDU nicht sehr präzise war, sondern eher ein Dach bot. Die Wähler wollten Schill und Rot-Grün hinter sich lassen und haben sich auf einen persönlichen Handschlag des Bürgermeisters eingelassen. Jetzt muss er zeigen, wie sein Angebot aussieht, was er von ihnen fordern wird, was er für die Bildungspolitik oder Kindertagesstätten tut.

Ist das der historische Bruch dieser Wahl, dass die Wähler sich so deutlich auf ein eher vages Versprechen eingelassen haben?

Das ist vor allem eine historische Chance für die Union. Sie kann jetzt zeigen, ob sie in Norddeutschland liberale Großstadtpolitik machen kann. Das war schließlich ihr großes Defizit bei der Bundestagswahl, das ihr bei Frauen und jüngeren Wählern geschadet hat. Jetzt kann sie Vorzeigepolitik für den Bund machen. Beust hat mit seinen Aussagen zur EU-Mitgliedschaft der Türkei und zur Zuwanderung liberale Zeichen gesetzt.

Bedeutet das auch einen Sieg der CDU-Vorsitzenden, die die Parole „norddeutsch, weiblicher, großstädtischer“ ausgegeben hatte?

Merkel weiß, dass es dieses kulturelle Defizit gibt. Sie hatte das als Aufgabe begriffen, aber sehr schnell zurückgesteckt, als der brandenburgische Innenminister Schönbohm ihr vorwarf, so verscherbele man das Tafelsilber der Union. Jetzt könnte von Beust weniger programmatisch, durch praktische Stadtpolitik, diese Aufgabe übernehmen und der CDU neben dem eher konservativ-katholischen Süden einen weltoffener geprägten Norden zuführen.

Die Amerikanisierung der deutschen Politik, Personen statt Programme, wurde oft beschrieben. Sind wir seit Hamburg Amerika?

Hamburg war im Wahlkampf ein Stück New York – viel Imagepolitik, viel Personality-Show. Es ist erstaunlich, mit wie wenig politischem Angebot der deutsche Wähler zufrieden ist. Er ist anspruchsärmer geworden. Das lässt sich nicht überall in Deutschland beliebig wiederholen, aber unter den besonderen Hamburger Verhältnissen – der langen Unzufriedenheit mit der SPD – steckt darin ein Moment des Aufbruchs. Der Wahlkampf war amerikanisch, regieren muss Beust jetzt auf deutsch. Der Imagekampagnen-Stil ist keine solide Basis, auch wenn von Beust die freundliche Unterstützung des Springer-Verlags hat.

Kann die deutsche Politik vom persönlichen Erfolg Ole von Beusts lernen? Ist die Zeit von Kandidaten wie Mirow vorbei?

Mirow war ein Verlegenheitskandidat in dem Vakuum, das Scholz in der SPD hatte entstehen lassen. Allerdings gehört diesem Politiker-Typ, der stärker den Habitus eines Staatssekretärs hat als Medienerfahrung, sicher nicht die Zukunft.

Was bedeutet Hamburg für Rot-Grün im Bund?

Die Grünen sind in der Geesllschaft angekommen. Man hat einmal gefragt: Passen die zu Hamburg? Und die Hälfte der Bevölkerung sagte ja. Das ist ein Zeichen, dass sie als solide und zuverlässig angesehen werden, zumindest was ihre Themen betrifft. In dieser Hinsicht haben die Grünen ein gutes Wahljahr vor sich. Die SPD hat das Problem, dass sie mit der Begründung für ihre Reformen nicht überzeugen kann, nur mit den Ergebnissen. Das braucht Zeit. Bis dies in ein, zwei Jahren greift, sind die Grünen die Gewinner der strukturellen Schwäche der SPD.

Sie haben sich auch mit der Dynamik von Machtwechseln beschäftigt. Gibt es etwas Umschwung-typisches an dieser Wahl?

Es gab ja keinen Machtwechsel, sondern ein Bürgermeister wurde im Amt bestätigt. Für Hamburg war es aber überfällig, ein Parteiensystem zu bekommen, bei dem zwei Lager die reale Chance des Machtwechsels haben. Diesem demokratischen Ideal eines alternierenden Modells sind wir jetzt sehr nahe gekommen.

Das Gespräch führte Andrea Dernbach.

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