zum Hauptinhalt

Politik: „Es gibt keinen Automatismus zum Krieg“

Wie der Irak von Massenvernichtungswaffen befreit werden kann / Die Europäer müssen sagen, was sie zur Kontrolle Bagdads beitragen können / Ein Thesenpapier

Mit der Entscheidung des Sicherheitsrats, am 1. März über einen weiteren Bericht der UN-Inspekteure zu beraten, ist im Ringen um eine friedliche Lösung der Irak-Krise eine neue Chance gewonnen. Sie muss genutzt werden; aber damit sie genutzt werden kann, bedarf es der Klarheit über die gemeinsamen Ziele. Massenvernichtungswaffen einschließlich weit reichender Trägertechnologien in den Händen des Irak stellen eine Gefahr für den Weltfrieden dar. So hat es der Weltsicherheitsrat beschlossen. Diese Gefahr muss beseitigt werden, und weil das nur bei Mitwirkung des Irak ohne Gewaltanwendung möglich ist, wird dieser durch die Sicherheitsrats-Resolutionen zur Offenlegung seiner Bestände und seiner Entwicklungsarbeiten verpflichtet.

In der Einschätzung von Saddam Hussein sind wenig Zweifel gegeben. Deshalb besteht Einigkeit, dass Saddam Hussein allenfalls zur Kooperation bereit sein wird, wenn er überzeugt ist, keine Alternative zu haben. Solange Saddam Hussein darauf hoffen kann, die Weltgemeinschaft und selbst Nato und Europäische Union spalten und die Weltöffentlichkeit gegen eine bewaffnete Intervention mobilisieren zu können, so lange wird seine Bereitschaft aufzugeben oder einzulenken nicht gefördert.

Bush auf multilateralem Kurs

Deshalb ist die Rückgewinnung einer gemeinsamen Haltung von Europäischer Union, Nato und Vereinten Nationen Conditio sine qua non für eine nicht militärische Befreiung des Irak von Massenvernichtungswaffen. Hauptwortführer der aktuellen Debatte sind Mitglieder der Nato, und deshalb ist eine gemeinsame Position aller atlantischen Partner der Schlüssel zur Überwindung der Differenzen und damit zur Lösung des Problems. Die Hauptdifferenz zwischen beiden Lagern liegt darin, dass die amerikanische Seite die Bedrohung aus der Verknüpfung von Massenvernichtungswaffen und internationalem Terrorismus so stark empfindet, dass sie auf den Einsatz militärischer Fähigkeiten zur Gefahrenabwehr nicht glaubt verzichten zu können, während die andere Seite die aktuelle Bedrohung geringer und dafür die Risiken aus einem militärischen Einsatz unmittelbar für alle Beteiligten, insbesondere auch die zivilen Opfer, und mittelbar für die Stabilität der ganzen Region wie für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus höher einschätzt.

Aller Rhetorik zum Trotz erscheinen die Differenzen nicht unüberwindlich. Strobe Talbott, in der Regierung von Präsident Clinton stellvertretender Außenminister, hat auf die Ironie aufmerksam gemacht, dass Präsident Bush durch die Drohung, unabhängig von den UN zu handeln, diese genau vor der Bedeutungslosigkeit bewahrt habe und dass er umgekehrt durch die von ihm erreichte Sicherheitsrats-Resolution 1441 nun auch stark auf multilateralen Kurs festgelegt sei, zumal Meinungsumfragen zeigten, dass auch die Mehrheit der Amerikaner nicht auf den Rückhalt der Völkergemeinschaft verzichten wolle. Und umgekehrt hat der französische Präsident Chirac nie einen Zweifel gelassen, dass Frankreich sich am Ende nötigenfalls auch an einer militärischen Intervention beteiligen werde. Wie schon die gemeinsame Erklärung von Russland, Deutschland und Frankreich schließt nunmehr auch der EU-Gipfel eine gewaltsame Durchsetzung der Sicherheitsrats-Resolution als Ultima Ratio ausdrücklich nicht aus, so wenig übrigens wie die Erklärungen des Papstes. Wenn also beide Seiten sich gegenseitig von ihren Standpunkten überzeugen können, dann erscheint eine gemeinsame Haltung möglich, und nur die bietet eine Chance, Saddam Hussein ohne militärischen Einsatz vielleicht doch noch zum Einlenken zu bringen.

Dem steht auch nicht das Argument entgegen, angesichts des amerikanischen und britischen Truppenaufmarschs in der Golfregion sei ein Rückzug nicht mehr möglich. Es gibt keinen Automatismus zum Krieg. Wenn das Ziel, die gesicherte Befreiung des Irak von Massenvernichtungswaffen, erreicht werden kann ohne militärische Eskalation, ist das für alle Beteiligten ein Erfolg, am meisten aber für die Vereinigten Staaten von Amerika und ihren Präsidenten Bush, ohne deren Entschlossenheit und ohne den von ihnen aufgebauten Druck nicht ein einziger UN-Inspekteur derzeit im Irak wäre. Die ökonomischen Kosten der amerikanischen Truppenverlegung in die Golfregion sind im Übrigen allemal geringer, wenn ein militärischer Einsatz nicht stattfinden muss.

Weil Saddam Hussein über mehr als ein Jahrzehnt der Welt bewiesen hat, dass er immer wieder versucht, durch Lügen und Täuschen die Beschlüsse des Weltsicherheitsrats zu unterlaufen, wird militärischer Druck auf ihn aufrechtzuerhalten sein. Dazu würde passen, wenn die Versuche, eine gemeinsame transatlantische Position herzustellen, auch in Aufbau und Aufrechterhaltung der notwendigen Drohkulisse stärker Ausdruck finden würden. Übrigens haben Schröder und Fischer bislang mit keiner Silbe erklären können, durch was der von massiver US-Präsenz erzeugte Druck ersetzbar wäre.

Vor diesem Hintergrund entlarvt sich die peinliche Auseinandersetzung im Nato-Rat um die Vorbereitung etwaiger Schutzmaßnahmen für die Türkei nicht nur als Verstoß gegen den Geist der Atlantischen Allianz, sondern als kontraproduktiv für die Druckausübung auf Saddam Hussein, also letztlich eher als Hindernis, das gemeinsame Ziel ohne militärischen Einsatz zu erreichen. Ähnliches ist auch bei der Mobilisierung öffentlicher Meinung für den Frieden zu beachten. So berechtigt die Sorgen für die Opfer und die Folgen von Krieg sind, so wenig darf außer Acht gelassen werden, welche Wirkung bei Saddam Hussein ausgelöst wird. Deswegen ist so wichtig, dass der Papst Saddam Hussein aufgefordert hat, sich endlich dem Völkerrecht zu unterwerfen. Und hier liegt der Fehler von Schröders Alleingang. Prüft man den realen Gehalt der innenpolitischen Auseinandersetzung, kommt man zu beachtlichen Übereinstimmungen. Alle sind für die Sicherheitsrats-Resolution 1441. Niemand will Krieg. Niemand hat auch eine Entsendung deutscher Soldaten zu kriegerischem Einsatz in den Irak gefordert. Die USA haben die Bundesregierung um Bewachung für ihre militärischen Basen in Deutschland gebeten, um Schutz für die Türkei durch Awacs-Flugzeuge und Patriot-Raketenabwehrsysteme, um ABC-Spürpanzer in Kuwait, Kapazitäten für Sanitätsdienste und um Schiffstransport-Kapazitäten im Persischen Golf. Alles dies, einschließlich der Überflugrechte und der Nutzung ihrer deutschen Basen für die US-Streitkräfte, hat die Bundesregierung längst zugesagt, übrigens unabhängig davon, ob es zu einer weiteren Resolution des Weltsicherheitsrats kommen sollte. Niemand hat mehr an konkreten Beiträgen von Deutschland jemals gefordert.

Schröder mobilisiert Kriegsängste

Was fehlt, ist die politische Unterstützung und Solidarität. Stattdessen hat Schröder Kriegsängste mobilisiert und zumindest in Kauf genommen, dass eher der amerikanische Präsident Bush als der irakische Diktator Saddam Hussein als Gefahr für den Weltfrieden angesehen wird. Die Bereitschaft Saddam Husseins, nachzugeben, ist dagegen nicht gefördert und so am Ende die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Erzwingung der Sicherheitsrats-Resolution erhöht worden. Die Ängste der Menschen vor Krieg sind ernst zu nehmen. Eine Antwort, wie Frieden und Sicherheit gewährleistet werden können, geben sie allerdings allein noch nicht. Zumal im Medienzeitalter vollziehen sich politische Auseinandersetzungen immer auch im Ringen um die öffentliche Meinung. Wer zulässt, dass der aggressionserprobte Diktator Saddam Hussein die Friedenssehnsucht der Menschheit für seine Ziele nutzen kann, begeht einen schweren Fehler. Deshalb muss sich die Bundesregierung auch fragen lassen, warum sie zwar die mit einem militärischen Einsatz verbundenen Gefahren sehr intensiv beschreibt, nicht aber die von den Massenvernichtungswaffen des Saddam Hussein drohenden.

Eine Verstärkung der Inspektionen muss sich auch mit der Frage befassen, wie dauerhaft sicherzustellen ist, dass der Irak von Massenvernichtungswaffen befreit bleibt. Und das liegt nahe bei der Suche nach einer Ordnung für den Irak nach seiner friedlichen oder erzwungenen Entwaffnung. Mit der Zerstörung von chemischen und biologischen Kampfstoffen allein ist die Gefahr dauerhaft nicht beseitigt, weil der Irak jederzeit solche Waffen neu entwickeln könnte. In dieser Einsicht erklärt sich auch die amerikanische Forderung nach einem Regime-Change, der nicht notwendig einen Wechsel der Personen, wohl aber des Verhaltens welchen Machthabers auch immer im Irak beinhalten muss.

Nicht die USA austricksen

In der amerikanischen Debatte ist völlig klar, dass nach einer Entwaffnung des Irak eine stabile und nicht aggressive Ordnung durch ein lang dauerndes Engagement von außen abgestützt und abgesichert werden muss. Der gedankliche Ansatz der angeblichen und dann gleich dementierten deutsch-französischen Initiative mit einem anhaltenden robusten Kontrollregime innerhalb des Irak ist davon nicht sehr weit entfernt. Deshalb war es so falsch, einen solchen Vorstoß nicht als gemeinsame Initiative aller Sicherheitsratsmitglieder am besten unter amerikanischer Führung zu präsentieren, sondern als trickreichen Versuch, die Amerikaner auszumanövrieren. Deshalb sollten Europa und die USA gemeinsam mit den anderen ständigen Sicherheitsratsmitgliedern und mit den Nachbarstaaten des Irak in der Region ihre Bemühungen auf eine Ordnung im Irak konzentrieren, die den dauerhaften Verzicht auf Massenvernichtungswaffen sicherstellt und Stabilität in diesem so spannungsreichen Land und in der ganzen Region fördert. Jede denkbare Ordnung wird Hilfe zum wirtschaftlichen Wiederaufbau mit gesicherter Kontrolle verbinden müssen und langfristiges Engagement zumindest der USA, der Europäer und der Nachbarstaaten erfordern. Die Europäer sollten sagen, was sie tatsächlich beizutragen bereit sind – zu einem langfristigen Kontrollregime, zu dessen militärischer Absicherung und entwicklungspolitischer Flankierung – im Irak und in der Region. Die Stabilität des Nahen und Mittleren Ostens wie der Kampf gegen den Terrorismus wird übrigens für längere Zeit die Präsenz starker amerikanischer und verbündeter Streitkräfte in der Region erfordern. Auch das spricht gegen den befürchteten Automatismus zum Krieg.

Darüber sollten sich die atlantischen Partner verständigen, und zwar jetzt. In diese Bemühungen müsste eine vertiefte Debatte über Bedrohungsanalyse und regionale wie globale Ordnung im Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Trägertechnologien und internationalem Terrorismus eingebunden werden. Die amerikanische Sicherheitsstrategie muss in vielen Antworten nicht notwendig europäischer Erfahrung und Überzeugung entsprechen; aber wenn die Europäer sich selbst ernst nehmen und von anderen ernst genommen werden wollen, müssen sie sich mit den zugrunde liegenden Fragen und Risiken beschäftigen.

Aus der unvoreingenommenen Analyse der globalen Tendenzen und Gefahren und der gemeinsamen Suche nach Antworten kann die derzeitige Spaltung der Europäer überwunden und die atlantische Partnerschaft neu gestärkt werden. Darin liegt auch eine Chance, die größere Wirksamkeit der Vereinten Nationen dauerhaft auszubauen. Ein erster Schritt in diese richtige Richtung ist die Erklärung der Europäer, zu der sie jetzt auch in Wort und Tat stehen müssen. Der schon erwähnte Strobe Talbott vermutet als dritte Ironie, dass Präsident Bush bei der Behandlung des Irak zum Multilateralisten geworden sei. Die Geschichte hat sich immer als klüger erwiesen als die jeweils handelnden Politiker. Der Friede hat eine Chance. Die Europäer können eine wichtige Rolle spielen, wenn sie klar machen, dass die USA unser Partner für den Frieden sind, mit dem wir gemeinsam die Gefahren beherrschen müssen, die von Saddam Hussein, anderen aggressiven Diktatoren und dem internationalen Terrorismus uns allen drohen. Die Zeit ist reif für eine gemeinsame Initiative aller Europäer an der Seite der USA, in der Irak-Krise für Stabilität im Mittleren Osten und weltweit einen verlässlichen Beitrag zu leisten. So gewinnt dauerhafter Friede die größte Chance.

Wolfgang Schäuble ist Vize-Vorsitzender der CDU/CSU–Fraktion im Bundestag.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false