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Politik: Es lebe der Papst

Von Stephan-Andreas Casdorff

Ganz Dein, totus tuus – das war das Leitmotiv des Papstes Johannes Paul II., und was er auf Gott bezogen meinte, gilt doch auch für ihn. Keiner war wie er, keiner war so personifizierte Neuzeit im Gestus und zugleich Restauration im geistlichen Habitus. Massen auf dem Erdball haben sich ihm genähert, weil er sich ihnen näherte. Nie ist ein Mensch mehr Menschen begegnet. Gereist ist er wie kein Zweiter, kommuniziert hat er wie kein anderer. Massenkundgebungen wie Popkonzerte, Lautsprecherboxen wie bei Deep Purple, kreischende Fans, beseligte Gesichter. Er wandelte auf der Erde, werden seine Fans ehrfürchtig sagen, und mindestens so viel stimmt: Sie wurde sein, er nahm sie ein. Dahinter kann keiner, der ihm nachfolgt, zurück.

Es ist keine Übertreibung: Menschen auf der ganzen Welt nehmen Anteil. Sie sehen ihn, multimedial, multivisuell, erfahren alles über ihn, bis auf das letzte Geheimnis. Auch dahinter führt kein Weg zurück. Die Gesellschaft ist in dieser Hinsicht weit vorgedrungen in die Welt des Vatikan. Ob alt oder jung, wer auf diesen Papst folgen wird, kann nicht zurückkehren in die vergleichsweise Beschaulichkeit eines Paul VI. Wer es auch ist, er muss sich öffnen, erfahrbar machen. Und da ist es, bei dem Weltumspannenden, das Johannes Paul II. in die Weltkirche zurückbrachte, nicht ausgemacht, dass es kein Lateinamerikaner, kein Asiate, kein Schwarzer sein darf. Aber auch die geistig ummauerte Welt im Vatikan muss von der Veränderung erfasst werden, in geradezu traditioneller Weise, weil, zyklisch gedacht, auf einen konservativen Papst ein liberalerer folgen sollte. So ist diese Kirche 2000 Jahre alt geworden.

Johannes Pauls II. hinterlassene Form der Modernität, die er – auf 2000 Jahren Geschichte fußend – mitbrachte, ist auf ihre Weise insofern ironisch dialektisch, als sie uns den Spiegel vorhält. Unsere Widersprüchlichkeiten. Der Papst als Motor einer Gesellschaft, die vollends global wird. Der Papst als Chef der letzten Friedensbewegung, der es wagte, Menschenwürde und personale Freiheit bei George Walker Bush wie bei Fidel Castro einzufordern. Und dann wenig später, wie vor Jahrhunderten, allein im Gebet zu versinken, um auf göttliche Zeichen zu warten. Spiritualität und Moralität und Modernität – kein Wunder, dass es, zwischen diesen Begriffen, zu Spannungen kam, innerkirchlich und außerhalb, in der Welt.

Und immer wieder gilt dieser Satz: Wer bewahren will, muss verändern. Er handelte danach, aber eben nicht immer im Sinne der Modernität. Oder tritt da, genau da, sein eigentliches Erbe zutage? Modernität kann sein, so lehrt es dieser Papst, dem Zeitgeist entgegenzutreten, ihm so lange und beharrlich Zeit abzufordern, bis sich unser Zeitmaß verändert. Denn das ist doch geschehen. Johannes Paul II. hat in einer, sagen wir, nahezu altertümlichen Weise Respekt für das Leiden gefordert, Akzeptanz für das Vergehende und damit etwas, was der globalen Gesellschaft abhanden kommt: Geduld. Über ihn hat die Welt wieder mitzufühlen, zu warten gelernt. Demut vor dem Schicksal, ohne sich ihm zu ergeben.

Dafür ist er der Menschen Held geworden, über alle politischen, kirchenpolitischen und Kirchengrenzen hinweg. Und dafür stehen Tausende und Abertausende in diesen Tagen in Kirchen und Kathedralen, sehen Millionen und Abermillionen auf allen Fernsehsendern dieser Erde Filme und Berichte über diesen Mann „aus einem fernen Land“. Der Schmerz kommt allmählich, er erfasst in ergreifender Weise auch viele, die finden, dass er nicht nur im besten Sinne einen großen Schatten wirft. Doch die Stunden, in denen Tausende an seiner Bahre vorbeidefilieren, die Fassung verlieren, beginnen jetzt. Wie sein Leben eine besondere Form von Rasanz hatte, weil die Welt sich so sehr verändert hat, weil ein Weltreich fiel und eine andere Weltmacht verwundet wurde, weil Fremde zu Brüdern wurden und geteilte Kontinente zusammenfanden, so wird auch die Trauer um diesen einen Mann in eine neue Dimension führen. Er ist noch nicht unter der Erde, aber schon auf dem Weg zur Seligsprechung.

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