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Beamte der Spurensicherung sichern in einem Faltpavillon Spuren am Tatort. In Berlin-Moabit soll ein Fahrradfahrer einen Mann erschossen haben.

© Christoph Soeder/dpa

Update

Mord an Georgier in Berlin: Merkel rechtfertigt Ausweisung russischer Diplomaten

Auf die Tötung eines Georgiers mitten in Berlin hat jetzt die Bundesregierung reagiert: Diplomaten müssen das Land verlassen. Moskau kündigt Vergeltung an.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Ausweisung zweier russischer Diplomaten im Zusammenhang mit dem Mord an einem Georgier in Berlin gerechtfertigt. Der Schritt sei nötig gewesen, „weil wir nicht gesehen haben, dass Russland uns bei der Aufklärung diese Mordes unterstützt“, sagte Merkel. Sie erwarte aber nicht, dass die diplomatischen Spannungen zwischen Berlin und Moskau den bevorstehenden Ukraine-Gipfel im sogenannten Normandie-Format beeinträchtigen werden.

Die Kanzlerin sagte, sie habe am Rande des Nato-Gipfels in London mit den Verbündeten bilateral über die deutsche Entscheidung zur Ausweisung der Diplomaten gesprochen.

Das Auswärtige Amt hatte zuvor am Mittwoch mitgeteilt, das die beiden Diplomaten mit sofortiger Wirkung zu unerwünschten Personen erklärt worden seien. Die Bundesanwaltschaft hatte zuvor die Ermittlungen in dem Mordfall von der Berliner Staatsanwaltschaft übernommen und erklärt, dass sie Anhaltspunkte für die Beteiligung staatlicher Stellen in Russland sieht.

Das Auswärtige Amt begründete die Ausweisung damit, dass russische Behörden „trotz wiederholter hochrangiger und nachdrücklicher Aufforderungen“ nicht hinreichend an der Aufklärung der Tat mitgewirkt hätten. Die Tat in Berlin ist damit zu einer schweren Belastung für das deutsch-russische Verhältnis geworden.

Zugleich machte das Auswärtige Amt deutlich, dass die Ausweisung der Diplomaten nicht die einzige Reaktion auf Russlands Rolle in dem Mordfall bleiben könnte: „Weitere Schritte in dieser Angelegenheit behält sich die Bundesregierung im Licht der Ermittlungen vor“, sagte die Sprecherin des Auswärtigen Amts.

Der russische Botschafter in Berlin wurde am Mittwochmorgen ins Auswärtige Amt einbestellt, um ihm die Entscheidung mitzuteilen. Bereits vor zwei Wochen war er zum Gespräch gebeten worden, um Russland noch einmal zur Mithilfe bei der Aufklärung des Mordes aufzufordern.

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Russland kündigte an, mit entsprechenden Schritten zu reagieren. Die Ausweisungen seien „unfreundlich und grundlos“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Moskau. „Wir sind gezwungen, eine Reihe von Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen.“ Eine Antwort werde nicht lange auf sich warten lassen, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow.

Georgier mit zwei Kopfschüssen getötet

Der Georgier Zelimkhan Khangoshvili war am 23. August im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen worden. Dem mutmaßlichen Täter Vadim Krasikov, der in Berlin als „Vadim Sokolov“ unterwegs war, wird Mord vorgeworfen. Die Bundesanwaltschaft nennt das Opfer "Tornike K." Aus Angst vor einem Attentat hatte sich Khangoshvili offenkundig einen anderen Namen zugelegt. Nach Tagesspiegel-Informationen hat er in der Vergangenheit für georgische und amerikanische Nachrichtendienste gearbeitet.

Die Bundesanwaltschaft äußert den Anfangsverdacht, dass die Tötung im Auftrag staatlicher Stellen Russlands oder der autonomen russischen Republik Tschetschenien erfolgte. Moskau bestreitet jede Beteiligung an der Tat.

Die Übernahme der Ermittlungen ist aus Sicht der Bundesanwaltschaft notwendig, weil es sich bei dem Mord um eine „staatsschutzrelevante Tat von besonderer Bedeutung“ handele. Auf Seiten der Polizei wird nun das Bundeskriminalamt die Ermittlungen führen, das Berliner Landeskriminalamt unterstützt.

Die Bundesregierung hatte zuletzt im März 2018 nach dem Anschlag auf den früheren russischen Spion Sergej Skripal in Großbritannien vier russische Diplomaten ausgewiesen. Die Entscheidung war mit zahlreichen europäischen Staaten abgestimmt. Ausgewiesen wurden damals Personen mit einem "geheimdienstlichen Hintergrund", die einen russischen Diplomatenpass hatten. Auch jetzt soll es sich bei den ausgewiesenen Personen nicht um normale Diplomaten handeln, sondern um Angehörige eines Nachrichtendienstes.

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Ermittler nennen Hintergründe zum Tatverdächtigen

Die Bundesanwaltschaft schildert in einer Pressemeldung den brisanten Hintergrund des Tatverdächtigen. Den deutschen Behörden lag eine russische Fahndungsmitteilung vom 23. April 2014 vor, in der es um die Suche nach Vadim Krasikov geht. Er hatte am 19. Juni 2013 in Moskau einen Geschäftsmann erschossen.

Die russischen Behörden löschten die Fahndungsmitteilung am 7. Juli 2015. Keine zwei Monate später, am 3. September 2015, erhielt Vadim Krasikov einen Pass auf den Namen Vadim Sokolov. Ein Abgleich der Lichtbilder aus der Fahndungsmitteilung von 2014 und dem Reisepass, den „Sokolov“ am Tag des Mordes in Berlin bei sich hatte, ergab, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um dieselbe Person handelt.

Am 17. August 2019 flog Krasikov alias Sokolov von Moskau nach Paris. Für die Einreise am Flughafen Charles de Gaulle nutzte er ein Visum, das er sich bei der französischen Botschaft in Moskau auf den Namen Sokolov hatte ausstellen lassen. Dem Visumantrag lag eine Arbeitgeberbescheinigung bei. Demnach war „Sokolov“ bei einer Firma namens ZAO RUST als Bauingenieur angestellt und verdiente monatlich 80.000 Rubel, umgerechnet etwa 1100 Euro. Doch die Angaben zur Firma sind zumindest fragwürdig.

Auch zu Wasser waren Beamte nahe des Tatorts in Berlin-Moabit vor Ort.
Auch zu Wasser waren Beamte nahe des Tatorts in Berlin-Moabit vor Ort.

© Helena Piontek

Nach Erkenntnissen der deutschen Ermittler steht im Handelsregister der russischen Föderation, ZAO RUST habe 2018 mit nur einem Mitarbeiter einen Gewinn von 2000 Rubeln erwirtschaftet. Interessant ist zudem die Verbindung zur russischen Regierung. Die Telefaxnummer von ZAO RUST ist dieselbe wie die von zwei Unternehmen, die dem Verteidigungsministerium gehören.

Diesem Ministerium ist beispielsweise der Militärgeheimdienst GRU unterstellt. Er war verantwortlich für den beinahe tödlichen Giftanschlag im März 2018 auf den ehemaligen russischen Geheimdienstoberst Sergej Skripal und dessen Tochter im englischen Salisbury.

Am 20. August 2019, drei Tage nach seiner Ankunft in Paris, flog „Sokolov“ weiter nach Warschau. Dort buchte er ein Hotel bis zum 26. August. Am 22. August verließ er jedoch das Hotel. Was er dann bis zum Attentat auf Zelimkhan Khangoshvili am Mittag des 23. August machte, bleibt unklar. Es gebe keine Hinweise darauf, dass sich der Beschuldigte vor dem 22. August in Berlin aufgehalten, das Tatopfer ausgespäht oder die Tat vor Ort „logistisch vorbereitet“ habe, sagt die Bundesanwaltschaft.

Unter der Lessingbrücke untersuchten Beamte die Fundstücke der Taucher.
Unter der Lessingbrücke untersuchten Beamte die Fundstücke der Taucher.

© Helena Piontek

Was sie nicht sagt, aber zu vermuten ist: womöglich hatte „Sokolov“ Helfer. Und womöglich mit Wissen der russischen Botschaft in Berlin.

Die Bundesanwaltschaft betont, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, „dass die Tat im Auftrag eines nichtstaatlichen Akteurs erfolgt ist“. Die Ermittlungen hätten auch keinerlei Hinweise „auf eine wie immer geartete Verbindung zwischen dem Beschuldigten und dem Tatopfer, geschweige denn für ein persönliches Motiv des Beschuldigten, ergeben“. Auch Bezüge der Tat zur organisierten Kriminalität oder zum islamistischen Terrorismus lägen nicht vor. Mit anderen Worten: „Sokolov“ war höchstwahrscheinlich als Auftragskiller des russischen Staates unterwegs.

„Massive Verletzung der Souveränität“

Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, warf Russland „eine massive Verletzung der Souveränität der Bundesrepublik“ vor. Allerdings müsse man sich nicht darüber wundern, dass Russland so weit gehe und die Grenzen austeste, wenn in Deutschland immer wieder eine Aufhebung der Russland-Sanktionen gefordert und das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 gegen alle Widerstände verteidigt werde, sagte Nouripour dem Tagesspiegel.

Beamte untersuchen den Tatort im Tiergarten.
Beamte untersuchen den Tatort im Tiergarten.

© Helena Piontek

„Es kann nicht sein, dass ein Staat wie Russland auf dem Boden der Bundesrepublik Auftragsmorde durchführt“, sagte der FDP-Außenpolitikexperte Bijan Djir-Sarai. Zugleich regte er weitere Sanktionen an: „Sollten die Hintermänner der Tat aufgedeckt werden, sollte ernsthaft über personenbezogene Sanktionen gegen diese nachgedacht werden.“

Der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, nannte die Ausweisung von zwei Mitarbeitern der russischen Botschaft eine „logische Konsequenz“, betonte aber: „Dennoch ist es richtig, mit Russland weiter im Gespräch zu bleiben.“ Er verwies auf den bevorstehenden Ukraine-Gipfel am Montag in Paris, zu dem auch der russische Präsident Wladimir Putin erwartet wird.

Der Innenexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Armin Schuster, hält angesichts der russischen Mordanschläge eine Verstärkung des deutschen Spionageabwehr für notwendig. "Die Auslandsaufklärung muss deutlich zulegen", sagte Schuster dem Tagesspiegel. Der CDU-Politiker verwies zudem auf einen mutmaßlich weiteren Fall in Bulgarien.

In der Hauptstadt Sofia wurde im April 2015 der Rüstungsfabrikant Emilian Gebrew vergiftet, blieb aber am Leben. Gebrew hatte Georgien im Konflikt mit Russland Waffen geliefert. Nach Recherchen der Investigativplattformen "Bellingcat" und "The Insider" sowie des "Spiegel" steckte hinter dem Anschlag auf den Bulgaren der russische Militärgeheimdienst GRU. (mit AFP)

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