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Eskalierende Gewalt nach Anschlag auf Assad-Vertraute: "In ganz Damaskus wird gekämpft"

Die Lage in Syrien spitzt sich weiter zu. Unzählige Familien sind auf der Flucht. In London steigt derweil der Ölpreis massiv an. Eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrats wird mit Spannung erwartet.

Durch die Ausweitung der Kämpfe in Syrien werden immer mehr Menschen in die Flucht getrieben. Mittlerweile haben nach Angaben von Helfern rund eine Million Syrer ihre Wohngebiete verlassen, um sich in anderen Teilen des Landes in Sicherheit zu bringen. „Das geht aus neuen Angaben des Syrischen Arabischen Halbmondes hervor, den wir bei der Versorgung der Vertriebenen unterstützen“, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Melissa Fleming, am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa in Genf. Angesichts der Gefahr weiterer blutiger Auseinandersetzungen im syrischen Bürgerkrieg bereiten sich humanitäre Organisationen auf die Intensivierung der Nothilfe für Zivilisten vor. „Wir beobachten auch die Lage in Damaskus und prüfen, ob und wie wir dort Nothilfe leisten können“, sagte Alexis Heeb vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz IKRK. Der IKRK-Sprecher verwies darauf, dass die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der Opposition vom IKRK bereits im April offiziell als „nicht-internationaler bewaffneter Konflikt“ eingestuft wurden. „Das heißt, es gelten überall, wo gekämpft wird, die Vorschriften der Genfer Konvention.“ Die Konfliktgegner seien nach dem humanitären Völkerrecht verpflichtet, Zivilisten und auch alle außer Gefecht gesetzten oder geflohenen Kämpfer zu verschonen.

Die Opposition hat einen Tag nach dem Anschlag auf den engsten Führungszirkel in Syrien hat den Druck auf Präsident Baschar al-Assad weiter verstärkt. Bewohner der Hauptstadt Damaskus berichteten am Donnerstag von Kämpfen in Sichtweite des Präsidentenpalastes und des Regierungsviertels. Unklar war der genaue Aufenthaltsort des Staatschefs, der seit dem Attentat auf drei seiner wichtigsten Gefolgsleute nicht in der Öffentlichkeit aufgetreten ist. Er sollte sich aber noch in Syrien aufhalten. Derweil drängten Deutschland und andere westliche Länder auf UN-Sanktionen, um die Gewalt einzudämmen. Allerdings war wenige Stunden vor Beratungen des Sicherheitsrats ein Einlenken von Russland und China nicht in Sicht. Regierungstruppen und Rebellen lieferten sich den fünften Tag in Folge Kämpfe in Damaskus. Die Regierung setzte auch Artillerie gegen die meist nur mit Gewehren und Granaten bewaffneten Aufständischen ein. Die Gefechte dauerten ohne Unterbrechung an, berichteten Bewohner. In der Nähe der Regierungszentrale sei mindestens ein Mensch getötet worden. Hunderte Familien seien auf der Flucht, fänden aber keinen Schutz. “Die Flüchtlinge können nirgendwo hin. In ganz Damaskus wird gekämpft“, berichtete eine Bewohnerin. Am Mittwoch waren bei einem Anschlag auf die syrische Führung der Verteidigungsminister, Assads Schwager und ein hochrangiger Militär getötet worden. Nach Angaben aus offiziellen Kreisen befehligte Assad von seinem Palast in Damaskus den Einsatz der Regierungstruppen. In Kreisen der Opposition hieß es dagegen, der Staatschef habe sich nach Latakia am Mittelmeer zurückgezogen. Ein besonderes Augenmerk sei darauf gerichtet, wie Assad die Befehlswege nach dem Verlust seiner drei wichtigsten Gefolgsleute aufrecht erhalte. “Der Anschlag gestern war ein schwerer, aber kein tödlicher Schlag“, sagte ein Diplomat der Nachrichtenagentur Reuters. Russland widersprach Berichten, dass es Assad Asyl gewähren könne. Darüber habe Präsident Wladimir Putin bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen Barack Obama nicht gesprochen, sagte ein Putin-Berater in Moskau. Beiden Präsidenten gelang es nach US-Darstellung nicht, ihre Differenzen auszuräumen. Russland und China lehnen Sanktionen gegen Syrien ab und haben mit ihrem Vetos bereits mehrere Resolutionen verhindert.

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und China verurteilten den Anschlag von Damaskus. Er warf der Armee den Einsatz schwerer Waffen gegen die Zivilbevölkerung vor. Dies geschehe, obwohl die Regierung in Damaskus den Abzug dieser Waffen zugesagt habe. Ban, der sich gegenwärtig in Peking aufhält, rief die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats auf, wirksame Schritte gegen die zunehmende Gewalt zu unternehmen. Die Zeit dränge. “Das syrische Volk hat zu lange gelitten. Das Blutvergießen muss sofort beendet werden“, forderte Ban.

"Die Gewalt kehr dahin zurück, wo sie ihren Ausgang genommen hat"

Westerwelle äußerte sich ebenfalls zu den jüngsten Ereignissen. Er kritisiert das anhaltende Veto Russlands und plädiert für harte Sanktionen.
Westerwelle äußerte sich ebenfalls zu den jüngsten Ereignissen. Er kritisiert das anhaltende Veto Russlands und plädiert für harte Sanktionen.

© dapd

Großbritannien und Deutschland drangen auf rasche UN-Sanktionen gegen den Nahost-Staat. Der britische Premierminister David Cameron und Bundesaußenminister Guido Westerwelle riefen vor allem die Vetomacht Russland auf, ihre ablehnende Haltung aufzugeben. Die Botschaft an den russischen Präsidenten Putin laute, dass es für den UN-Sicherheitsrat an der Zeit sei, klare und harte Sanktionen zu verhängen, sagte Cameron in Kabul. Westerwelle appellierte an Russland und China, “für die Menschen in Syrien Verantwortung zu übernehmen und zu einer Stabilität der gesamten Region beizutragen“. Die Gewalt könne nur durchbrochen werden, wenn sich der Sicherheitsrat auf eine Resolution einige. “Die Gewalt kehrt nun dort hin zurück, wo sie ihren Ausgang genommen hat, nämlich ins Machtzentrum des Assad-Regimes nach Damaskus“, kommentierte Westerwelle den Anschlag.

Auch die chinesische Regierung hat den Anschlag in der syrischen Hauptstadt Damaskus scharf verurteilt. „China ist gegen alle Arten von Terrorismus und Gewalt und verurteilt die Explosion gestern in Damaskus aufs schärfste“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Donnerstag. Bei dem Bombenanschlag am Mittwoch waren drei der engsten Vertrauten von Syriens Präsident Baschar al-Assad ums Leben gekommen. Peking sei „tief besorgt“ über die Spannungen in Syrien, so Ministeriumssprecher Hong Lei. Die Regierung rufe alle Beteiligten auf, die Gewalt zu beenden und den Friedensplan des Sondergesandten Kofi Annan umzusetzen. Zusammen mit Russland hat China bislang jede schärfere Gangart gegen das syrische Regime im Weltsicherheitsrat verhindert.

CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz befürchtet derweil eine neue Eskalation der Gewalt in Syrien. Es sei möglich, dass Assads Streitkräfte nun Racheakte verübten, sagte Polenz am Donnerstag im Deutschlandfunk. Statt einer Deeskalation des Konflikts sehe „jetzt alles danach aus, dass er einem weiteren Höhepunkt entgegentreibt“. Polenz rechnete bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrates am Donnerstag mit Blick auf Russland nicht mit einem geschlossenen Vorgehen. Dabei sei ein einmütiges Handeln nötiger denn je. Europa solle nun prüfen, ob es sich den Sanktionen der USA anschließt.

Nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind am Mittwoch in ganz Syrien mehr als 200 Menschen getötet worden. Unter den Opfern seien mindestens 124 Zivilisten, teilte die Aktivistengruppe am Donnerstag mit. Für die Hauptstadt Damaskus, die seit fünf Tagen von heftigen Kämpfen erschüttert wird, gab die Beobachtungsstelle die Zahl der Todesopfer mit 38 an. Dabei berücksichtigte sie nach eigenen Angaben nicht die drei Vertreter der syrischen Führung, die am Mittwoch bei einem Selbstmordanschlag in Damaskus getötet worden waren.

Der Ölpreis stieg in London unter anderem infolge des Anschlags in Damaskus über die Marke von 106 Dollar je Barrel. So teuer war ein Barrel (159 Liter) zuletzt am 30. Mai. (dapd/Reuters/AFP)

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