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Der österreichische Kanzler Christian Kern.

© REUTERS

EU-Abkommen mit Kanada: Führt Ceta zur “Kern-Schmelze”?

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern stellt die Zustimmung Wiens zum Ceta-Handelsabkommen mit Kanada in Frage - und löst damit EU-weit Irritationen aus.

Nach der glücklosen Ära von Werner Faymann an der Spitze der österreichischen Regierung und Sozialdemokratie wurde sein Nachfolger Christian Kern zum Hoffnungsträger. Seine jüngsten Äußerungen, vor allem in Zusammenhang mit dem EU-Wirtschaftsabkommen mit Kanada (Ceta), haben jedoch auf EU-Ebene für Verwirrung gesorgt. Und auch in Österreich kommen politische Kommentatoren zum dem Schluss, dass Kern sich und seinem Image mit der Kritik an Ceta geschadet hat. In der Alpenrepublik kursiert bereits das Bonmot der „Kern-Schmelze“.

Kniefall vor der Boulevardpresse

Kern hatte die Zustimmung Österreichs zu Ceta in Frage gestellt. Kritisiert wird nun, dass der Bundeskanzler einen Kotau vor der Boulevardpresse mache. Diese macht seit Monaten in einem seltsamen Bündnis mit Teilen der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie sowohl gegen das geplante EU-Handelsabkommen mit den USA (TTIP) und nun auch Ceta mobil. Den Anti-Ceta-Aktivisten kommt dabei zugute, dass es es diverse EU-Gremien versäumt haben, über Inhalte und Auswirkungen des Handelsabkommens mit Kanada ausreichend zu informieren.

In Brüssel sorgt vor allem die Tatsache für Verärgerung, dass Kern die Haltung der österreichischen Regierung zu Ceta von einer Mitgliederbefragung innerhalb der sozialdemokratischen Regierungspartei SPÖ abhängig macht. Besonders problematisch daran ist, dass dabei eine kleine Gruppe von Parteimitgliedern über eine Frage entscheiden soll, die für fast einen ganzen Kontinent eine handels- und damit wirtschaftspolitische Weichensstellung bedeutet.

SPÖ-Parteimitglieder sollen fünf Fragen zu Ceta beantworten

Fünf Fragen, die der Manipulation durch Stimmungsmache Tür und Tor öffnen, werden derzeit den 200.000 SPÖ-Parteibuchinhabern vorgelegt, von denen wiederum nur ein Teil auch den Stimmzettel ausfüllen wird. Kommt dabei ein mehrheitliches Nein zustande, stimmt die SPÖ im Parlament dagegen. Und ihr werden wohl auch die FPÖ und die Grünen Gefolgschaft leisten. Der Koalitionspartner von der ÖVP hat sich bereits für Ceta ausgesprochen, befindet sich aber in der Minderheit. Damit könnte Österreich der einzige der 28 EU-Mitgliedsstaaten werden, der dieses Abkommen blockiert.

Deutliche Kritik am Vorgehen aus dem Europaparlament

Harsche Kritik löst Kerns Vorgehen bei dem Europaabgeordneten Elmar Brok, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, und Daniel Caspary, dem handelspolitischen Sprecher der konservativen EVP-Fraktion, aus. Nach Ansicht der beiden CDU-Abgeordneten legt Kern mangelndes Verantwortungsbewusstsein an den Tag. Österreichs Kanzler singe laut im Chor der Populisten mit und verabschiede sich vom Anspruch seriöser Politik, lautet ihr Vorwurf. Kern befeuere Ängste über angebliche Vertragsinhalte in der Bevölkerung, die mit keinem Wort in Ceta enthalten seien, so Brok und Caspary. Die beiden EU-Abgeordneten weisen auch darauf hin, dass der nun vorliegende Ceta-Text sich im Rahmen des von den EU-Mitgliedstaaten einstimmig festgelegten Verhandlungsmandats bewegt und sämtliche Forderungen des EU-Parlaments umsetzt. „Alle heute genannten Kritikpunkte werden in dem Abkommen schon berücksichtigt. Ceta und auch ein gutes TTIP sind ein elementarer Baustein, um Globalisierung zu gestalten. Wer versucht, auf der Welle der Populisten zu surfen, wird meist selbst weggespült", erklären Brok und Caspary.

In diese Kerbe schlägt auch der Leiter der ÖVP-Delegation in Brüssel, Othmar Karas. Er spricht von einer Flucht des Bundeskanzlers aus der staatspolitischen Verantwortung. Denn „Handelsabkommen sind keine parteistrategische Frage. Jede einzelne Forderung an Ceta wurde während der siebenjährigen Verhandlungen erfüllt. Vom Boulevard geschürte Sorgen und Ängste der Bürger sind unbegründet. Ceta ist das beste Handelsabkommen, das Europa je mit einem anderen Land ausgehandelt hat”, so Karas.

Es ist freilich nicht nur die Haltung des Kanzlers zu Ceta, die derzeit bei den europäischen Partnern übel aufstößt. Irritationen löste auch die Forderung der Wiener Regierung aus, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei komplett abzubrechen.

Erschienen bei EurActiv.

Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.

Herbert Vytiska

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