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Mit dieser Flagge können wenige Briten noch etwas anfangen: Der britische Premier Cameron (rechts) in Brüssel

© epa-dpa

EU: Blairs Ex-Vordenker Giddens lobt Europa

Wer erinnert sich noch an Anthony Giddens? Der Soziologe, einst Vordenker von Tony Blairs "New Labour", hat sich wieder zu Wort gemeldet. Mit einer Hymne auf Europas Chancen.

Britannien 2014: Sie sind die erbittertsten Europafeinde, schicken nicht nur wie unsereins eine EU- fresserische Partei ins Europaparlament, sondern lassen diese Ukip schon vorher so stark werden, dass sie Premier Cameron vor sich hertreiben kann. Der hat sein Kabinett inzwischen von letzten EU-Befürwortern befreit und längst ein Referendum für den EU-Austritt 2017 versprochen, wenn nur das Volk ihm im nächsten Mai noch einmal eine Mehrheit im Unterhaus schenkt.

"EU-Mitglied sein heißt mehr Souveränität"

Ganz Britannien gegen den Kontinent? Nein. Dieser Tage ließ sich auf „Europp“, dem Blog der London School of Economics and Political Science (LSE) eine geradezu euro-euphorische Stimme hören: Brüssel entwickle grandiose Ziele. Da aber Strukturen fehlten, um sie umzusetzen, müsse die Union „eine neue Stufe der Integration“ erreichen. Und zur Angst, nationale Souveränität werde für Brüssel geopfert: Das gelte vielleicht für die formale, nicht aber für die reale Souveränität. Im Grunde stimme das Gegenteil. „Ich behaupte, dass die Mitgliedsländer der EU eher Souveränität hinzubekommen, als dass sie sie verlieren.“ Wann immer etwa das Vereinigte Königreich international auftrete, wüssten alle, dass es nicht allein sei.

Vom Dritten Weg blieb nicht viel

Gesungen hat diese kleine Hymne auf EU-Europa Anthony Giddens. Der Soziologe und frühere Direktor der LSE wurde einem nichtakademischen Publikum Ende der 90er Jahre bekannt. Sein Buch „Der dritte Weg“ von 1998 galt als Programmschrift von „New Labour“ im Jahr nach Tony Blairs Amtsantritt und für den Wiederbeginn eines sozialdemokratischen Zeitalters. Schließlich endeten 1998 mit dem rot-grünen Wahlerfolg auch in Deutschland 16 Jahre ununterbrochener konservativer Regierung - hierzulande war von "Neuer Mitte" die Rede.

Passé, wie man weiß. Inzwischen sind selbst Skandinaviens sozialdemokratische Festungen gefallen und die beiden Modelle des „Dritten Weges“ hielten bald nicht mehr den gleichen Abstand zu den alten Wegen links und rechts. Das Hartz-Trauma verfolgt Schröders Erben bis heute. Und Blairs Nachnachfolger als Labour-Chef, Ed Miliband, hatte nicht nur mit Blairs Irakkriegs-Erbe zu tun, sondern lässt öfters durchblicken, dass er den Unterschied zwischen Thatcherism und Blairism in der Wirtschaftspolitik nicht für sehr groß hält.

Ein Brite lobt Europa - das ist wie "Mann beißt Hund"

Giddens, einst Vordenker einer neuen Mehrheit, denkt jetzt ziemlich allein. Sogar das auf der Insel meistgehasste europäische Sozialstaatsmodell lobt er: „Es kann und muss überleben.“ Wie notwendig es sei, zeige der Blick auf China, wo eine alternde Bevölkerung auf keinerlei Sozialstaat treffe. All das hat Giddens bereits Ende letzten Jahres in einem Buch über die Zukunft Europas aufgeschrieben. „Stürmisch und mächtig“ nennt er den Kontinent – das würde man selbst in Brüssel wohl kaum so optimistisch sehen. Ein Brite, anerkannter Wissenschaftler und einst Stichwortgeber für Londons Politik, lobt und hofft auf Europa. In Zeiten von Ukip und AfD eigentlich eine Nachricht wie „Mann beißt Hund“. Brachte aber keiner. Ausweislich des stets zuverlässigen Genios-Pressearchivs wurde das Buch in Deutschland nicht einmal erwähnt.

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