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Politik: EU-Erweiterung: "Wer ist dieser Joschka Fischer eigentlich?"

"Wer ist Joschka Fischer, und für wen spricht der eigentlich?" Diese Frage ist derzeit oft in diplomatischen Kreisen in Paris zu hören.

"Wer ist Joschka Fischer, und für wen spricht der eigentlich?" Diese Frage ist derzeit oft in diplomatischen Kreisen in Paris zu hören. Selbst Außenminister Hubert Védrine, der sich wiederholt als "Joschka-Fan" outete, scheint neuerdings an seinem Berliner Kollegen zu zweifeln. Es sei "reine Demagogie", jetzt schon einen Termin für den Beginn der EU-Osterweiterung zu nennen, platzte es kürzlich aus Védrine heraus. Fischer stimmte kleinlaut zu - um am Mittwoch dann doch wieder mit einem Datum (diesmal 2005) zu jonglieren.

Zwar hat Fischer sogleich relativiert: Es handle sich lediglich um eine "gegriffene Zahl", die mit der Realität vielleicht nichts zu tun habe. Aber in Paris ist man der Versuchsballons des deutschen Außenministers allmählich überdrüssig. Schon Fischers als "rein privat" deklariertes Plädoyer für ein föderales Europa hatte seinen "Freund" Védrine im Frühjahr in Verlegenheit gebracht. "Die demagogischen Versprechen einiger EU-Staaten" in Sachen EU-Erweiterung machen den Pariser Chefdiplomaten aber richtig ärgerlich.

Schließlich hat Frankreich den EU-Ratsvorsitz inne, nicht Deutschland. Und Védrine will als erstes die - nicht zuletzt wegen deutscher Blockaden immer wieder verschobene - EU-Reform vom Tisch haben, bevor er über die Osterweiterung und die "Finalität" Europas spricht. Der EU-Gipfel von Nizza Anfang Dezember habe absoluten Vorrang, heißt es in Paris. Ein deutsch-französisches Spitzentreffen am Freitag in Vittel (Ostfrankreich) soll dafür nun die letzten Weichen stellen.

Doch auch in Sachen EU-Reform häuften sich in letzter Zeit die Misstöne. Berliner Diplomaten äußerten nicht nur laute Zweifel an der französischen Verhandlungstaktik. An der Spree kursierten zudem Gerüchte, wonach die französische EU-Ratspräsidentschaft handlungsunfähig sei. Paris werde nicht nur durch die Kohabitation zwischen Präsident Jacques Chirac und Premier Lionel Jospin ge-lähmt, hieß es. Auch der Machtkampf zwischen Außenminister Hubert Védrine und Europaminister Pierre Moscovici wirke sich negativ aus.

Für zusätzliche Verstimmung in Paris sorgten Berichte, wonach Berlin bei der EU-Reform aus der deutsch-französischen Solidarität ausgeschert sei. Diese Berichte werden zwar auf beiden Seiten des Rheins eifrig dementiert. Dennoch dürften die offenen Fragen - Neuordnung der EU-Kommission und Stimmgewichtung zwischen den EU-Ländern - beim bilateralen Gipfeltreffen in Vittel erneut auf den Tisch kommen. Die deutsche Idee, bei Abstimmungen künftig auch die Bevölkerungsmehrheit zu zählen (Prinzip der doppelten Mehrheit) stößt nämlich in Paris auf Vorbehalte.

Eine Lösung zeichnet sich hingegen bei der Neuordnung der EU-Kommission ab. Die französische EU-Ratspräsidentschaft wünsche einen Kompromiss zwischen den Vorstellungen der großen und der kleinen EU-Länder, sagte Europaminister Pierre Moscovici. Paris könne sich vorstellen, die Zahl der EU-Kommissare erst beim Beginn der EU-Erweiterung zu begrenzen. Frankreich nähert sich damit der von der Bundesregierung vertretenen Linie an. Beobachter schließen daher nicht aus, daß es in Vittel zu einem demonstrativen Schulterschluß kommt.

Doch die nächsten deutsch-französischen Friktionen zeichen sich schon ab. Hinter den Kulissen ist der Streit um die künftige EU-Finanzierung und die kostspielige gemeinsame Agrarpolitik neu entbrannt. Präsident Jacques Chirac warnte bereits davor, den deutsch-französischen Kompromiss von 1999 in Frage zu stellen. Zum brisanten Politikum hat sich auch der Streit um deutschen Atommüll entwickelt. Paris will keine neuen Brennstäbe aus deutschen Atomkraftwerken annehmen, solange der Rücktransport des Restmülls nicht gesichert ist. Der seit zwei Jahren schwelende Streit wurde nun zur Chefsache erklärt.

Schwer zu fassen

Der Streit um den deutschen Atommüll wird in Paris als weiterer Beleg gewertet, daß Außenminister Fischer schwer zu fassen ist. Schließlich sind es Fischers grüne Parteifreunde, die den deutschen Atomausstieg eingeleitet und die Rücktransport von Atommüll aus der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague blockiert haben. Die Frage, für wen Fischer eigentlich steht und spricht, harrt daher aus französischer Sicht einer klaren Antwort.

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