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Aktivisten demonstrieren vor dem Kanzleramt gegen die Flüchtlingspolitik.

© dpa

EU-Flüchtlingsgipfel: Martin Schulz fordert legale Zugangswege für Flüchtlinge

Beim Sondergipfel der EU-Regierungschefs über Konsequenzen aus den jüngsten Flüchtlingsdramen möchten David Cameron und Angela Merkel unterschiedliche Akzente setzen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz drängt die Mitgliedsstaaten unterdessen zum Handeln.

Am Geld soll ein erster Lösungsversuch nicht scheitern, wenn die Staats- und Regierungschefs der EU an diesem Donnerstag in Brüssel auf einem Sondergipfel über Konsequenzen aus den jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer beraten. Auf dem Tisch liegt ein Zehn-Punkte-Plan der EU-Kommission, der unter anderem mehr Geld für die EU-Grenzschutzprogramme Triton und Poseidon zur Verbesserung der Seenotrettung vorsieht.

Unter dem Eindruck der Katastrophe vom Wochenende, bei der bis zu 900 Menschen ertrunken waren, hatte sich Innenminister Thomas de Maizière dafür ausgesprochen, die Seenotrettung „erheblich“ zu verbessern. Voraussichtlich werden die EU-Staaten beim Gipfel mehr Geld dafür zur Verfügung stellen. So müsste eine Verdopplung der Mittel für die EU-Mission Triton von drei auf sechs Millionen Euro pro Monat für alle Seiten „akzeptabel“ sein, hieß es am Mittwoch aus EU-Diplomatenkreisen. De Maizière sagte im Bundestag, auch eine Verdreifachung der Mittel sei denkbar.

Am Mittwoch waren die Flüchtlingstragödien auch ein Thema im Bundeskabinett. Dabei habe Kanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich gemacht, beim Gipfel müsse es „in allererster Linie darum gehen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten“, sagte Vizeregierungssprecherin Christiane Wirtz.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz drängt die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten unterdessen zum Handeln. Die nationalen Regierungen in Europa hätten es seit vielen Jahren nicht geschafft, sich auf gemeinsame Standards zu einigen, kritisierte der SPD-Politiker am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“. Das sei eine der Ursachen für die Katastrophen im Mittelmeer. Schulz forderte zudem eine Neuauflage des ausgelaufenen italienischen Seenotrettungsprogramms „Mare Nostrum“ auf europäischer Ebene und plädierte dafür, legale Zugangswege für die Flüchtlinge zu schaffen. Zunächst müsse es einen humanitären Prozess geben. „Das heißt, wir müssen Menschen vor dem Sterben retten“, erklärte er. Genauso notwendig sei es, die Grenzen schon vor der afrikanischen Küste zu bewachen. Das sei aber nicht kurzfristig umsetzbar.

Cameron kommt mitten im Wahlkampf

Zwar wird sich auch der britische Premier David Cameron in Brüssel voraussichtlich nicht dem Plan verschließen, mehr Geld für die EU-Mission Triton auszugeben. Allerdings will Cameron beim Gipfel vor allem darüber reden, wie Schleppern das Handwerk gelegt werden kann. Der britische Premier reist mitten im Wahlkampf zum Gipfel der Europäischen Union – und vor der Unterhauswahl am 7. Mai gehört die Einwanderung zu den wichtigsten Themen.

Über den Seeweg angekommene Flüchtlinge in Italien 2014.
Über den Seeweg angekommene Flüchtlinge in Italien 2014.

© Tsp/Bartel

Am Ende, heißt es aus Diplomatenkreisen, werde es beim Gipfel um eine „Paketlösung“ gehen, in der sich alle wiederfinden können: Auf der einen Seite stehen Mittelmeeranrainer wie Italien und Griechenland, die den Norden Europas bei der Aufnahme der Flüchtlinge stärker in die Pflicht nehmen wollen. Auf der anderen Seite hält sich die Begeisterung dafür in Großbritannien, aber auch in Frankreich in Grenzen. In Großbritannien wird wiederum auf die finanziellen Leistungen verwiesen, die im Rahmen der so genannten "Syria Crisis Response" durch das Londoner Entwicklungshilfeministerium seit Februar 2012 an Nachbarländer wie Jordanien und Libanon gezahlt wurden - nämlich umgerechnet 1,1 Milliarden Euro.

Wenn man die Einwohnerzahl der Aufnahmeländer zugrunde legt, haben nach den Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat im vergangenen Jahr mehr Menschen in Deutschland Asyl beantragt als in Frankreich und Großbritannien. Innenminister de Maizière brachte am vergangenen Montag die Idee einer Quotenregelung ins Spiel. De Maizière sprach davon, 5000 bereits in Europa angekommene Flüchtlinge im Zuge eines freiwilligen EU-Pilotprojektes neu anzusiedeln und auf die Mitgliedstaaten zu verteilen. Gegen eine quotenmäßige Aufteilung der Flüchtlinge gibt es allerdings Widerstand in Großbritannien, den baltischen Staaten, Tschechien und Portugal.

Umstrittene Mission zur Zerstörung von Flüchtlingsbooten

Diskussionen dürfte es beim Gipfel um die Überlegung der EU-Kommission geben, leere Schlepperboote zu beschlagnahmen und zu zerstören. Wie es in dem Zehn-Punkte-Plan der EU-Behörde heißt, solle sich die europäische Politik „inspirieren“ lassen von den „positiven Ergebnissen der Operation Atalanta“. Das ist die EU-Marinemission, die seit 2008 am Horn von Afrika gegen Piraten vorgeht. Durch die Mission wurden die Geiselnahmen beendet. Nach dem Vorbild der Atalanta-Mission müssten also Soldaten geschickt werden, um der Schleuserkriminalität Herr zu werden.

Weitere Details des möglichen Militäreinsatzes sind inzwischen bekannt geworden. Atalanta diene tatsächlich als „Vorbild für das Verfahren wie für die Instrumente“, wie ein EU-Diplomat sagte. Was die militärischen Instrumente anbelangt, gehe es „vorrangig um eine Marinemission“, sagte ein Regierungsvertreter Belgiens. „Häufig werden unsere Seenotretter, nachdem sie die Flüchtlinge auf dem offenen Meer gerettet haben, von den Schleppern mit Waffengewalt dazu gezwungen, ihnen die leeren Boote wieder zu übergeben“, sagte Kommissionssprecherin Natasha Bertaud, „Ziel unseres Vorschlags ist es, das zu beenden.“ Die europäischen Schiffe würden somit gleichzeitig Flüchtlinge retten, sich gegen die Schleuser zur Wehr setzen und letztlich auch ihre Boote zerstören können.

Diskussion um UN-Mandat

In der Bundesregierung wird darauf verwiesen, dass auch die im Herbst ausgelaufene italienische Operation „Mare Nostrum“ zum Teil mit Kriegsschiffen operiert hatte. Derweil forderten am Mittwoch sowohl die Parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht als auch der Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter (CDU), ein UN-Mandat zur Zerstörung der Boote. Wegen des notwendigen Mandats ist die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini mit den Vereinten Nationen bereits im Gespräch. Ein Mitarbeiter von EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, ob ein UN-Mandat benötigt werde, hänge von der Größe der Mission ab. "Wir reden hier nicht von Krieg, sondern von gezielten chirurgischen Schlägen", sagte er weiter.

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlingsschutz, Volker Türk, forderte derweil, die „Schutz- und Asylkomponente“ des Zehn-Punkte-Plans der EU zu verstärken. Er verlangte zudem, dass die Europäer neben einer „robusten Such- und Rettungsoperation“ im Mittelmeer auch mehr Plätze für eine humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen anbieten müssten. Neben anderen legalen Zugangswegen solle auch die Familienzusammenführung erleichtert werden, so Türk. Zudem verlangte er eine bessere Verteilung der Flüchtlinge in Europa und ein Abrücken von der Regel, dass Asylanträge in dem Land gestellt und bearbeitet werden müssen, in dem die Flüchtlinge ankommen. (mit dpa)

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