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EU-Gipfel: Angespannte Stimmung hinter verschlossenen Türen

Nach den Debatten um die Griechenland-Hilfe ist Europa nicht gut auf Deutschland zu sprechen. Wie war die Stimmung auf dem Gipfel?

Angela Merkel kommt spät. Sie hat sich wohl noch verquatscht mit dem neuen Londoner Premier David Cameron, den sie vor Beginn des Brüsseler EU-Gipfels zu einem Vier-Augen-Gespräch getroffen hat. Politisch geht es darum, die bei der Finanzmarktregulierung weiter zögernden Briten zu bearbeiten. Eigentlich geht es aber ums näher kennenlernen. Auch die Ungarn haben nach ihrer Wahl einen neuen Ministerpräsidenten nach Brüssel geschickt, Viktor Orbán. Den Parteifreund der Europäischen Volkspartei hat die Kanzlerin schon am Abend vorher getroffen. Ein malerisches Schloss im Brüsseler Vorort Meise bildete die Kulisse für das Vorbereitungstreffen der europäischen Christdemokraten.

Als Angela Merkel den Sitzungssaal betritt, beginnt das große Schaulaufen. Küsschen links, Küsschen rechts mit Zyperns Staatschef Demetris Christofias, Händeschütteln und ein Lächeln für den EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, ein Hallo für Johannes Laitenberger, den Kabinettschef von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, eine kurze Umarmung mit José Luis Zapatero, dem Ministerpräsidenten Spaniens, dessen Finanzprobleme allen Gerüchten zum Trotz auf diesem Gipfel keine Rolle spielen sollten. Auch beim traditionellen Familienfoto nach der ersten Arbeitssitzung wird gescherzt und gelacht, was das Zeug hält. All das soll vor allem eines signalisieren: Seht her! Wir verstehen uns blendend! Die Bundesrepublik ist so beliebt wie eh und je!

Einzig, es stimmt nicht. Auf den Fluren des schmucklosen Brüsseler Ratsgebäudes rumort es gewaltig. Jenseits des deutschen Diplomatenkorps findet sich praktisch niemand, der nicht von einer nachhaltigen Verstimmung berichtet, die mit dem Fall Griechenland ihren Anfang nahm. „Bis auf Deutschland war jeder von uns schon im Februar bereit“, sagt ein hoher Regierungsvertreter eines Nachbarlandes, „die Entscheidungen zu treffen, die wir schließlich im Mai getroffen haben“. Da freilich sei die Krise schon so weit fortgeschritten gewesen, dass der Rettungsschirm viel teurer geworden sei, als eigentlich notwendig. Merkels Umfeld verbreitet derweil weiter die Parole, dass erst die zögerliche Haltung den nun begonnenen Sparkurs und die geplante Reform des Stabilitätspaktes überhaupt möglich gemacht habe. Der Diplomat lobt aber auf giftige Art auch, dass sich die Dinge in den vergangenen Wochen etwas entspannt hätten, und nennt dazu einen Namen: „Der Grund, warum Deutschland immer noch ernst genommen wird, heißt Wolfgang Schäuble.“ Der Bundesfinanzminister also. Was das im Umkehrschluss in Bezug auf die Kanzlerin heißt, muss er gar nicht aussprechen.

Ein Vertreter der österreichischen Delegation, der schon lange dabei ist, schlägt in dieselbe Kerbe. „Merkel wird für uns immer schwerer einschätzbar. Mich erinnert das an die letzten beiden Jahre der Ära von Helmut Kohl.“ Und es ist nicht so, dass man ihm die Kritik aus der Nase ziehen müsste. Es scheint ihm fast ein Bedürfnis, nun seinem Ärger über die Berliner Politik Luft zu machen: „Die Linie ist einfach nicht erkennbar. Da war ja sogar Gerhard Schröder noch wunderbar berechenbar dagegen.“

Beim Mittagessen kommt die Stunde der Kanzlerin. Bei feinen Speisen berichtet Ratspräsident Van Rompuy aus der Arbeitsgruppe, die sich mit einer besseren wirtschaftspolitischen Steuerung in Europa befasst und den Stabilitätspakt verschärfen soll. Die Gruppe gibt es überhaupt nur wegen Angela Merkel, weil sie im Gegensatz zu fast allen anderen Staats- und Regierungschefs die europäischen Verträge ändern will. Sie ergreift das Wort und wiederholt Teilnehmern zufolge ihre Forderung nach dem Entzug der Stimmrechte, falls eines der um den Tisch versammelten Länder wiederholt gegen die Defizitkriterien verstieße. Freunde macht man sich so natürlich nicht.

David Cameron, den Neuen in der Runde, ficht das – wie auch die Vertreter der anderen Staaten ohne den Euro – nicht an. Sie haben sich schon im Vorfeld ausbedungen, dass die bevorstehende Sanktionsorgie, nicht nur im Bereich der Staatsfinanzen, sie nur sehr bedingt treffen wird. So kann sich der smarte Cameron bei seinem ersten Staatsbesuch im so geschmähten Brüssel ganz auf das Kennenlernen konzentrieren. Neben dem Treffen mit Merkel stehen noch Gespräche mit Barroso und Zapatero auf dem Programm. Letzterem erzählt er, dass er nun ebenso hart werde sparen müssen wie sein spanischer Amtskollege.

Um 15.20 Uhr wird das Dessert serviert. Spätestens jetzt muss eine Einigung zur Finanzmarktregulierung her. Schließlich soll Europa beim G-20-Gipfel der größten Industrienationen nächstes Wochenende in Kanada geschlossen auftreten. Die deutsche Position dazu ist inzwischen klar: Bankenabgabe und Finanztransaktionssteuer sollen am besten weltweit eingeführt werden. Klappt dies wie vermutet nicht, soll die Europäische Union allein vorangehen. Nur die Briten, so viel ist klar, sperren sich weiter. Ein belgischer Diplomat begrüßt aber prinzipiell einen europäischen Alleingang in diesem Punkt. Nur sieht er darin eine der ganz wenigen wirklich europäischen Positionen der Kanzlerin. „Alles, was mehr Europa bedeuten würde, wird derzeit von den Deutschen blockiert.“ Er weiß das so genau, weil er derzeit intensiv die am 1. Juli beginnende Ratspräsidentschaft seines Landes vorbereitet und dazu mit allen EU-Botschaftern die gesamte europäische Themenpalette durchackert.

Immerhin berichtet er auch von einer gewissen Entspannung in den vergangenen Wochen. Das Verständnis für die Berliner Positionen sei gewachsen, weil „Angela Merkel in kleiner Runde von einer starken antieuropäischen Haltung in der deutschen Öffentlichkeit berichtet hat, auf die sie Rücksicht nehmen müsse“. Die Grundsatzkritik der Nachbarn am vermeintlich mangelnden europäischen Engagement aber bleibt – allem Lächeln für die Kameras zum Trotz: „Deutschland sitzt derzeit nicht auf dem Fahrersitz der Europäischen Union, wo es hingehört.“

Von Berliner Seite gibt es für den Hinweis auf die deutsche Öffentlichkeit natürlich keine Bestätigung. Wohl aber heißt es im Umfeld der Kanzlerin, dass sie sich der neuen Rolle Deutschlands wohl bewusst sei. „Dass man uns nervig findet, ist klar“, heißt es in Kreisen der Bundesregierung. Aber man sei eben überzeugt davon, dass nur das ständige Pochen auf haushaltspolitische Stabilität und Wachstum dem Euro und Europa eine gute Zukunft sichere.

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