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EU-Gipfel

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EU-Gipfel: Drohgebärden und Rechenspiele

Kaczynski blieb hart, Prodi brauchte einen Erfolg: Trotzdem fand der EU-Gipfel den Kompromiss. Bundeskanzlerin Angela Merkel war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.

Bei der kaum halbstündigen Pressekonferenz des britischen Premierministers beim EU-Gipfel in Lissabon machte sich einer der Journalisten den Spaß und zählte mit: Mehr als 20 Mal sprach Gordon Brown mit dem Brustton der Überzeugung vom „nationalen Interesse“ des Vereinigten Königreichs. Offenbar, so hörte es sich an, war Großbritannien nur in der feindlichen, gefährlichen Europäischen Union, um das britische Interesse zu verteidigen.

Die eigenartige, für Nicht-Briten nur schwer zu verstehende Szene war völlig beherrscht von der britischen Innenpolitik. Die Konservativen, unterstützt von der aggressiven Boulevardpresse und den TV-Sendern des Murdoch-Konzerns, versuchen die in Lissabon abgesegnete EU-Vertragsreform zur Waffe gegen den Labour-Premier zu schmieden. In der portugiesischen Hauptstadt gingen die britischen Fernsehleute den Premier immer wieder aggressiv an, warum er denn über den neuen EU-Vertrag auf der Insel keine Volksbefragung veranstalte, obwohl das die Bevölkerung zu 75 Prozent fordere. Das sei nicht nötig, konterte Brown immer wieder ungerührt.

Innenpolitik beherrschte auch den polnischen Auftritt beim Lissabonner Gipfelspektakel. An diesem Sonntag wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Polens Staatspräsident Lech Kaczynski griff deshalb vor seiner Abreise nach Lissabon schnell noch einmal zu seinem bewährten Drohvokabular: Wenn Polens Forderungen nicht erfüllt werde, dann werde er die Schlussverhandlungen zur Vertragsreform blockieren.

Doch dieses Mal wirkte die „Methode Kaczynski“ offenbar nicht mehr so richtig. Die übrigen 26 Staats- und Regierungschefs ließen sich nicht über den Tisch ziehen: Die so genannte „Ioannina-Klausel“, die einer Minderheit die Blockade der Mehrheit erlaubt, wird auch in Zukunft nicht Primärrecht der EU, wie das Warschau gefordert hatte. Da dieser Ausnahmemechanismus schon seit 1994 besteht und seither offenbar nur ein einziges Mal angewendet wurde, sei die ganze Streiterei mit den Polen ohnehin nur „eine reichlich theoretische Debatte“ gewesen, atmete Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag erleichtert auf.

Erleichterung war ihr aber auch ins Gesicht geschrieben, weil es der Runde der Staats- und Regierungschefs gelungen war, ein Problem zu lösen, das in der italienischen Innenpolitik hohe Wellen schlug: Bei der Neuverteilung der Abgeordnetenmandate im Europaparlament war Italien ganz schlecht weggekommen. Ministerpräsident Romano Prodi musste also unbedingt mit einem zusätzlichen italienischen Mandat nach Hause zurückkommen – das war allen in der Runde klar.

Die Obergrenze der Mandate im Europaparlament ist nach dem Beschluss des letzten Brüsseler Gipfels vom Juni bei 750 Abgeordneten festgezurrt. In Lissabon war jedoch niemand bereit, einen Abgeordnetensitz an Italien abzugeben. Schließlich wurde folgende Lösung ausgekocht: Die Italiener bekommen ihren Abgeordnetensitz – und es bleibt auch formal bei den 750 Abgeordneten. Dazu zählt man aber noch den Parlamentspräsidenten, der auf sein Stimmrecht verzichten soll, damit es bei den 750 Stimmen bleibt. Der Schönheitsfehler: Am Ende muss man nun doch, so meinen die Experten, die Obergrenze der Sitze im Europaparlament auf 751 Abgeordnete anheben.

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