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EU-Gipfel: Finanzierung der Stammzellenforschung gestattet

Während das EU-Parlament Finanzmittel für die Embryonenforschung gebilligt hat, stehen die Niederlande und Frankreich bei der EU-Verfassung mit dem Rücken zur Wand. Beiden Ländern wird politische Tatenlosigkeit vorgehalten.

Straßburg - Das Europaparlament hat sich gegen den Widerstand von Christdemokraten und Grünen für die Finanzierung der Embryonenforschung und der embryonalen Stammzellenforschung ausgesprochen. Wie in den meisten Mitgliedstaaten ist diese Forschung auch in Deutschland verboten. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) bedauerte die Entscheidung. «Wir lehnen die Förderung verbrauchender Embryonenforschung und Anreize für die Tötung von Embryonen ab», erklärte die Ministerin am Donnerstag in Berlin. Der Parlamentarische Staatssekretär im Familienministerium, Hermann Kues (CDU) sagte zu der Entscheidung: «Die Interessen der Forschung haben sich leider gegenüber ethischen Bedenken durchgesetzt.» Dabei werde verkannt, «dass die menschliche Würde an die Unverfügbarkeit menschlichen Lebens gebunden ist».

Für die Grünen sprachen deren Forschungspolitiker Priska Hinz und Reinhard Loske von einem «Rückschlag für Ethik und Menschenwürde in Europa». Die Entscheidung öffne «der weiteren Verzweckung und Kommerzialisierung menschlichen Lebens Tür und Tor». Der SPD- Europaabgeordnete Norbert Glante hingegen sprach von einem Erfolg für den wissenschaftlichen Fortschritt: «Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist eine unerlässliche Voraussetzung dafür, dass wir Menschen mit degenerativen Krankheiten besser helfen können als bisher.»

50 Milliarden Euro für Stammzellenforschung

In Deutschland gilt eine Stichtagsregelung, nach der Stammzellen für die Forschung außerhalb Deutschlands und vor dem 1. Januar 2002 gewonnen sein müssen. In anderen EU-Ländern wie Großbritannien, Schweden oder Belgien dürfen embryonale Stammzellen gewonnen werden.

Das Forschungsprogramm umfasst 50,8 Milliarden Euro, wobei etwa 50 Millionen Euro für die Stammzellenforschung vorgesehen sind. Verabschiedet wurde auch die Schaffung eines Europäischen Forschungsrates, der als unabhängiges Gremium förderungswürdige Forschungsprojekte auswählt.

Einigung zwischen Parlament und Rat nötig

Die meisten Mittel (neun Milliarden Euro) sollen in die Informations- und Kommunikationstechnologien investiert werden, sechs Milliarden in die Gesundheitsforschung und etwa vier Milliarden Euro in die Bereiche Verkehr und Luftfahrt.

Parlament und Rat müssen sich jetzt rasch vor der zweiten Lesung einigen, wenn die Programme pünktlich zu Jahresbeginn 2007 anlaufen sollen.

Ton gegenüber Frankreich und Holland wird rauer

In der Verfassungskrise der Europäischen Union verschärft sich unterdessen der Ton: Frankreich und die Niederlande geraten nach dem Nein ihrer Bürger zu dem neuen Vertrag wegen politischer Tatenlosigkeit immer stärker unter Druck der EU-Partner. Wie am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel aus den Delegationen verlautete, bekamen der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende und Frankreichs Staatschef Jacques Chirac allerdings Unterstützung durch den britischen Premier Tony Blair.

Vor dem zweitägigen Treffen griff Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker seinen britischen Kollegen hart an. Der Zeitung «Die Welt» sagte Juncker: «Es wäre durchaus vorstellbar, die EU ohne die Briten fortzuführen, wenn sie die Verfassung ablehnen sollten.» In der französischen Delegation wurde beteuert, dass Paris weiter zur Verfassung stehe. Chirac erklärte in der Gipfelrunde, er vertraue auf Vorschläge unter deutscher EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007.

"Ratifizierungsprozess muss fortgesetzt werden"

Die europafeindliche Haltung der Briten wie auch die Ablehnung der Verfassung durch Franzosen und Niederländer vor gut einem Jahr verzögern nötige Reformen der EU, ohne die künftige Erweiterungen - etwa um die Staaten des Balkans - unmöglich sind. Der Brüsseler Gipfel unter Vorsitz des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel versuchte, Auswege aus der Krise zu finden und die Verfassung wiederzubeleben. Nach den Volksabstimmungen in den Niederlanden und Frankreich hatte sich die EU im vergangenen Juni eine Denkpause verordnet und das Projekt auf Eis gelegt.

In einer gemeinsamen Erklärung konservativer Spitzenpolitiker hieß es vor dem Gipfel: «Wir wollen nicht, dass das Projekt scheitert. Der Ratifizierungsprozess muss fortgesetzt werden.» Bisher haben 15 der 25 EU-Staaten die Verfassung ratifiziert. Vermutlich wird erst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als EU-Vorsitzende einen konkreten Fahrplan für das Projekt vorlegen.

Schüssel: Verfassung mit "neuen Elementen" ergänzen

Wie Juncker forderte Schüssel Frankreich und die Niederlande auf, ihre Vorschläge zum weiteren Umgang mit dem Vertragstext auf den Tisch zu legen. Die Verfassung könne mit «neuen Elementen» ergänzt werden, schlug Schüssel vor. Dazu zählte er einen neuen Namen oder eine Zusatzerklärung etwa zur sozialen Dimension Europas.

Schwedens Ministerpräsident Göran Persson verlangte von den Regierungen in Paris und Den Haag, die Verfassung noch einmal zur Abstimmung zu stellen. «Die Verfassung ist noch nicht tot», sagte Persson. «Wir dürfen nicht pessimistisch sein.» Schüssel forderte, dass die Entscheidungen spätestens zur französischen EU-Präsidentschaft Ende 2008 gefallen sein müssten.

Merkel: Deutschland will Bürokratieabbau anpacken

Juncker warnte davor, die deutsche Ratspräsidentschaft mit Erwartungen zu überfrachten. «Trotz aller Talente bleiben der Bundeskanzlerin nur drei bis vier Wochen, damit die Sache zu Potte kommt», sagte er in Meise bei Brüssel. Merkel kündigte an, die Union während des deutschen EU-Vorsitzes vor allem mit Bürokratieabbau und besseren Gesetzen voranzubringen. «Dann werden die Menschen auch wieder offener sein und sagen: «Wir brauchen dieses Europa und dafür brauchen wir auch einen Verfassungsvertrag.»

Die EU sieht Rumänien und Bulgarien ungeachtet der Schwächen im Kampf gegen Kriminalität und Korruption 2007 als neue Mitglieder. Das geht aus der Abschlussklärung des Gipfels hervor, deren Entwurf der dpa vorlag. Mit dem nötigen politischen Willen sei es für beide Staaten zu schaffen, die Defizite abzustellen, hieß es. Die EU-Staaten können den Beitritt Rumäniens und Bulgariens bis Ende 2007 verschieben. Zum 1. Januar 2008 ist beiden Staaten der Beitritt garantiert. Dann wird die EU 27 Mitglieder haben.

Straßburg bleibt Parlamentssitz

Einig waren sich die Staats- und Regierungschefs, dass der Parlamentssitz in Straßburg nicht aufgegeben werden soll. Nach einem Konflikt über überhöhte Mietzahlungen war der Sitz in die Kritik geraten. (tso/dpa)

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