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Frankreichs Präsident François Hollande am Dienstagabend bei seiner Ankunft in Brüssel.

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EU-Gipfel: Hollande: Europa muss sich ändern

Nach dem Wahlerfolg der Front National nimmt Frankreichs Präsident Hollande die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel ins Gebet: "Europa muss zur Kenntnis nehmen, was sich in Frankreich ereignet hat."

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"Europa muss zur Kenntnis nehmen, was sich in Frankreich ereignet hat." Diesen Appell richtete der französische Präsident François Hollande zum Auftakt des Brüsseler Gipfeltreffens an die Runde der Staats- und Regierungschefs, die sich am Dienstagabend in der belgischen Hauptstadt versammelte. Gemeint war der Ausgang der Europawahl am vergangenen Sonntag in Frankreich, wo die rechtspopulistische Front National erstmals auf dem ersten Platz landete. Hollandes Sozialisten erreichten gerade einmal 14 Prozent, während die Front National auf 25 Prozent kam. Unterstützer der Front National hatten als Gründe für ihre Wahlentscheidung häufig die Ablehnung gegenüber Einwanderern und den Verlust ihrer Kaufkraft genannt.

"Europa muss sich ändern", forderte Hollande nun in Brüssel. Wenn die EU in den nächsten Jahren die Erwartungen der Bürger nicht erfülle, werde es auch anderswo Voten wie in Frankreich geben, "die gegen Europa gerichtet sind".

Bereits am Montagabend hatte Hollande in einer kurzen Fernsehansprache auf den Erdrutschsieg der Front National reagiert und unter anderem erklärt, er wolle sich bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs dafür einsetzen, dass sich die Europäische Union künftig auf Wachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und Investitionen konzentriert. In französischen diplomatischen Kreisen wurde derweil beklagt, dass die Lesart des Ausgangs der Europawahl in Berlin und Paris völlig unterschiedlich sei. Bei der Wahl erzielte nicht nur die Front National in Frankreich einen Triumph; insgesamt wurden im Europaparlament die Kräfte am linken wie auch am rechten Rand gestärkt.

In den diplomatischen Kreisen hieß es nun, dass das gesamteuropäische Wahlergebnis in Berlin in erster Linie als Bestätigung für den Kurs der Bundesregierung in der Euro-Krise gewertet werde; die Verantwortung für den Zuwachs radikaler Parteien ist demnach in den betroffenen Staaten selbst zu suchen.

Diese Analyse werde in Paris den Angaben zufolge aber nur begrenzt geteilt. Zwar sei sich Hollande sehr wohl seiner innenpolitischen Probleme bewusst. Dem europaweiten Zulauf zu radikalen Parteien könne allerdings auch mit einem Umsteuern in der EU-Krisenpolitik begegnet werden, hieß es weiter. Paris setzt dabei darauf, dass sich deutsche Unternehmer verstärkt am Ausbau europäischer Infrastrukturprojekte beteiligten und so auch die Beschäftigungssituation in den Krisenländern verbesserten.

Merkel, Gabriel und Seehofer wollen keinen Streit über EU-Personalien

Neben dem künftigen wirtschaftspolitischen Kurs in der EU wollten sich die Staats- und Regierungschefs am Dienstag in erster Linie mit kniffligen Personalfragen beschäftigen: Zu klären ist demnächst in Brüssel die Nachfolge des EU-Kommissionschefs José Manuel Barroso, des Ratspräsidenten Herman Van Rompuy und der Außenbeauftragten Catherine Ashton. Am Montagabend hatten die Parteichefs Angela Merkel (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) und Horst Seehofer (CSU) das Thema ebenfalls behandelt. Was genau dabei im Kanzleramt besprochen wurde, wurde zwar nicht publik. Aber die drei dürften sich über Prozeduren und Abläufe der kommenden Tage und Wochen unterhalten haben, nicht über konkrete Personalpakete. Dafür ist es viel zu früh. Auch wenn die SPD gerne ihrem Spitzenkandidaten bei der Europawahl, Martin Schulz, zu einem Karrieresprung verhelfen möchte, so ist andererseits auch unverkennbar: Weder Gabriel noch Merkel oder Seehofer haben auch nur das geringste Interesse daran, die schwierigen europäischen Personalfragen zur Krise der Berliner Koalition werden zu lassen.

Dass Gabriel Merkel zu dem Gipfeltreffen nach Brüssel begleitete, könnte als Misstrauenskundgebung verstanden werden. Der ungewöhnliche großkoalitionäre Auftritt in der EU-Hauptstadt hat aber zugleich den Effekt, die Kanzlerin vor dem Vorwurf zu bewahren, dass sie ihren Regierungspartner im fernen Brüssel über den Tisch ziehe.

Bei der Bewahrung des Friedens innerhalb der großen Koalition hilft das Ergebnis der Europawahl kräftig mit. Ähnlich wie im Bundestag bringt auch im Europaparlament wohl nur ein Bündnis aus Christ- und Sozialdemokraten die Mehrheiten zustande, die die künftige EU-Kommission und ihr Präsident brauchen. Ähnlich wie in Berlin liegt die konservative Europäische Volkspartei (EVP) auf EU-Ebene klar vor den Sozialdemokraten.

Damit ist der Gang der Dinge zunächst vorgezeichnet. Gelingt es dem EVP-Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker, eine Mehrheit für sich zu organisieren, kann Gabriel das ohne Gesichtsverlust akzeptieren – schließlich hatte sein eigener Spitzenkandidat Schulz das Erstzugriffsrecht des numerischen Wahlsiegers sehr betont, solange er selbst darauf hoffen konnte.

Umgekehrt muss sich Merkel im Moment nicht für Juncker verkämpfen, sondern kann tun, was sie im Frühstadium solcher Entscheidungen sowieso am liebsten tut: sondieren und ein Gefühl dafür entwickeln, was mit arg gebeutelten Partnern wie dem britischen Regierungschef David Cameron oder dem französischen Staatschef Hollande im Moment überhaupt möglich ist. Gut möglich, dass es zwischen Merkel und Gabriel am Ende noch einmal rau zugeht. Aber dieses Ende, die Verteilung der Europa-Posten, liegt noch ziemlich weit entfernt.

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