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EU-Gipfel: Kurzes Treffen, seichte Themen

Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten treffen sich heute in Brüssel zu einem ungewöhnlich kurzen Treffen. Nur einen Tag lang wollen sie verhandeln. Schwierige Themen werden ausgeklammert.

Es wird ein ungewöhnlicher Gipfel. Nur einen Tag dauert das Treffen der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten an diesem Freitag in Brüssel - statt der sonst üblichen knapp zwei Tage. Und es gibt, anders als bei den Gipfeln der vergangenen Jahre, auch keine Krise, die mit einer dramatischen Nachtsitzung abgewendet werden müsste. Am Tag nach der Unterzeichnung des "Vertrags von Lissabon" wollen die Regierenden keinen Streit. "Nachdem das Haus in Ordnung ist, denkt man über die Zukunft nach", sagt ein EU-Diplomat. Anders ausgedrückt: Unangenehme Probleme des real existierenden Lebens werden auf später verschoben.

Einsetzung einer "Reflexionsgruppe"

Nur widerstrebend wird die Gipfelrunde einen "Rat der Weisen" einsetzen, der sich über die Zukunft der EU in den Jahren 2020 bis 2030 Gedanken machen soll. Der Rat, offiziell "Reflexionsgruppe" genannt, wird geschaffen, weil Frankreichs Regierungschef Nicolas Sarkozy das so wollte. Sarkozy, der die Türkei als EU-Mitglied ablehnt, hat die Schaffung dieses Gremiums zur Bedingung dafür gemacht, dass die Beitrittsverhandlungen mit Ankara überhaupt weitergehen können. Er hofft nach Ansicht von EU-Diplomaten, dass die "Weisen" eine Antwort auf die Frage geben, wie groß die EU eigentlich noch werden soll.

Zunächst herrscht Ruhe bis zum Juni 2010. Erst dann, so wird der Gipfel beschließen, soll die Gruppe ihren Bericht erstatten. Das bedeutet aber, dass der Bericht vorliegt, wenn allmählich eine Entscheidung über den Türkei-Beitritt näher rückt. Weil viele Regierungen eingedenk der traumatischen Erfahrungen mit dem "Lissabonner Vertrag" in überschaubarer Zukunft nicht schon wieder über neue EU-Verträge reden wollen, wird den "Weisen" ausdrücklich verboten, "institutionelle Fragen" zu diskutieren. Es solle ausschließlich darum gehen, "wie Stabilität und Wohlstand sowohl der EU als auch der Region längerfristig am besten gefördert werden können". Das Wort "Türkei" taucht in der Schlusserklärung des Gipfels nicht auf.

Keine Entscheidung zum Kosovo-Status

Keine Entscheidung ist auch zum Status der abtrünnigen serbischen Provinz Kosovo zu erwarten, obwohl Eile geboten ist. Fünf Tage vor einer - vermutlich ergebnislosen - Sitzung des UN-Sicherheitsrates sind zwar nach wie vor die meisten EU-Mitglieder dafür, eine Unabhängigkeitserklärung der Kosovo-Albaner anzuerkennen. Aber nicht alle: Vor allem Zypern ist angesichts der Teilung der eigenen Insel strikt dagegen, die Slowakei, Griechenland und Spanien ebenfalls, wenn auch weniger entschlossen. "Einigkeit ist ein Prozess", beruhigt Luís Amado, Portugals Außenminister: "Wir werden in naher Zukunft eine gemeinsame Haltung haben."

Nach den erfolglosen Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung der Konfliktparteien im Kosovo sei "der Korridor für mögliche Lösungen enger und überschaubarer geworden", formuliert Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zuversichtlich. Mehr "Realismus" gebe es nun und deswegen wohl auch mehr Hoffnung auf eine Einigung in der EU. Allerdings steigt zugleich auch die Wahrscheinlichkeit einer Konfrontation mit Serbiens inoffizieller Schutzmacht Russland. Beim Gipfel gibt es noch keine Einigkeit: Für das Abschlusskommuniqué wurde schon eine Formulierung ausgehandelt, die das Fehlen einer gemeinsamen Position nicht erwähnt.

Erleichterung über Abgang Kaczynskis

Die Regierungen der EU sind auch sonst erleichtert. Mit dem Abgang des polnischen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski ist ein wesentlicher Störfaktor aus den Gipfelrunde verschwunden. Und mit der Beilegung des polnisch-russischen Streits um Fleischeinfuhren ist der Weg frei für die bisher blockierten Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Moskau. Die werden nicht einfach, stehen aber erst im kommenden Jahr an. Dann wird es auch mit der Ratifizierung des "Lissabonner Vertrags" ernst. Aber über Dinge wie diese will sich jetzt niemand Sorgen machen.

Dieter Ebeling

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