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David Cameron (rechts) will verhindern, dass Jean-Claude Juncker (links) EU-Kommissionspräsident wird.

© AFP

EU-Gipfel: Wie geht der Machtpoker um Juncker aus?

Die Mehrheit der Europäer will Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsidenten – England aber nicht. Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag soll eine Entscheidung fallen.

Von Hans Monath

Manche nennen es eine Machtprobe von historischer Bedeutung: Weil die Staats- und Regierungschefs laut dem Vertrag von Lissabon erstmals das Ergebnis der EU–Wahl bei ihrem Vorschlag des Kommissionschefs berücksichtigen müssen, stehen die EU-Staats- und Regierungschefs unter Druck. Bei ihrem Treffen am Donnerstag und Freitag wollen sie sich nach heftigem Ringen dem Vorschlag der beiden Mehrheitsfraktionen im EU-Parlament beugen und den konservativen Spitzenkandidaten und ehemaligen Premierminister Luxemburgs, Jean-Claude Juncker, als Kommissionschef nominieren. Allerdings dürfte dabei erstmals die bisherige Praxis aufgehoben werden, wonach der Kandidat im Rat im Konsens gewählt wurde.

Was ist von dem Gipfel zu erwarten?

Zwar soll das zweitägige Treffen am Donnerstag mit einer Gedenkveranstaltung in Ypern beginnen, wo 1914 die Flandernschlacht begann. Allerdings dürfte die Erinnerung nur wenig dazu beitragen, aktuelle Interessengegensätze zu befrieden.

Die Nominierung Junckers, den einige Mitgliedstaaten als Repräsentanten einer alten, wenig reformfreudigen EU unbedingt verhindern wollten, gilt trotzdem als sicher. So groß war der Druck des Parlaments, dass die meisten EU-Regierungen sich dem Demokratisierungsversprechen nicht entgegenstellen wollten. Zugleich nahm EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy Forderungen der Juncker-kritischen Regierungen in London, Den Haag und Kopenhagen nach einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas und nach einer Selbstbeschränkung der EU auf.

Im Entwurf der Gipfelerklärung mit dem Titel „Strategische Agenda für die Union in Zeiten des Wandels“ heißt es nun, die EU solle „nur gemeinsam handeln, wenn wir zusammen mehr erreichen können als einzelne Staaten alleine“. Dies bekräftigt das Subsidiaritätsprinzip, wonach die EU nur solche Aufgaben übernehmen soll, welche auf nationaler Ebene nicht gelöst werden können.

Zwar wurde vor dem Gipfel erwartet, dass die Teilnehmer nicht nur eine politische Agenda für die EU festlegen, sondern auch ein umfangreiches Personalpaket schnüren, in dem es etwa um die Zuständigkeit der 28 aus den Mitgliedstaaten entsandten Kommissare oder auch den Nachfolger Van Rompuys als Ratspräsidenten geht. Inzwischen aber wird in Berlin und in Brüssel versichert, dass auf dem Gipfel nur der Beschluss über Juncker geplant sei. Über ein „breiteres Gesamttableau“, das politische Aspekte, nationale Interessen und auch das Geschlechterverhältnis in der Kommission berücksichtige, werde später entschieden, hieß es in Berliner Regierungskreisen.

Kann Großbritannien Juncker verhindern?

David Cameron (rechts) will verhindern, dass Jean-Claude Juncker (links) EU-Kommissionspräsident wird.
David Cameron (rechts) will verhindern, dass Jean-Claude Juncker (links) EU-Kommissionspräsident wird.

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Nicht nur in Deutschland wird damit gerechnet, dass sich David Cameron mit seiner Blockadepolitik isoliert hat und zum Schluss womöglich nur von Ungarns Premier Viktor Orban gestützt wird. Auch die schwedische Regierung, die ursprünglich wie die Großbritanniens und Dänemarks zu den entschiedenen Juncker-Kritikern gehört hatte, signalisierte nun ihre Zustimmung. Merkel, die mit großem Einsatz versuchte, Cameron mit ins Boot zu holen, machte im Bundestag klar, dass sie den Kandidaten auch gegen Widerstand durchsetzen will. Es sei „kein Drama, wenn wir auch nur mit qualifizierter Mehrheit abstimmen würden“, sagte sie.

Wie könnten die Briten besänftigt werden?

Cameron könnte wesentliche Elemente von Van Rompuys „Strategischer Agenda“ als eigenen Erfolg verkaufen. Damit habe er „immer noch die Möglichkeit, sein Gesicht zu wahren“, sagte ein EU-Diplomat. Zudem könnte der britische Premier „wieder mit ins Boot geholt“ werden, wenn die Staats- und Regierungschefs bei einem weiteren Treffen im Juli über einen EU-Außenbeauftragten, die Kommissare und den neuen Ratspräsidenten entscheiden. Als eine Favoritin für die Rompuy-Nachfolge gilt die dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt.

Was sind die deutschen Interessen?

An diesem Punkt wird es kompliziert: Aus Union und SPD waren im Vorfeld des Gipfels unterschiedliche Akzente zu hören, die die großkoalitionäre Harmonie stören. Nach der Europawahl hatten die Sozialdemokraten Merkel massiv bedrängt, den Spitzenkandidaten der siegreichen EVP als Kommissionspräsidenten auszurufen. Nach langem Zögern gab die Kanzlerin dem Drängen nach. SPD-Chef Sigmar Gabriel verzichtete daraufhin darauf, einen Kommissarsposten für SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz zu fordern.

Auch in Bezug auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik setzte Gabriel andere Prioritäten als die Kanzlerin. Gemeinsam mit den sozialdemokratischen EU-Regierungschefs drängte er nach dem Motto „Mehr Zeit gegen Reformen“ auf eine flexiblere Auslegung des Stabilitätspaktes und stärkere Investitionen zur Belebung der Wirtschaft in den Krisenländern. Viele in der Union warnten deshalb vor einer Aufweichung des Stabilitätspakts. Gabriels Versicherung, es gehe ihm nur um Zugeständnisse, die auch heute schon innerhalb des Stabi-Regelwerks möglich seien, räumte den Verdacht nicht aus.

In Brüssel sitzt nur Merkel am Tisch. Die Forderungen der sozialdemokratischen EU-Regierungen, so hieß es aus Regierungskreisen, stünden nun nicht zur Entscheidung an. Allerdings dürften sie nach dem Gipfel schnell aktuell werden: Weil Juncker bei der Wahl am 15. Juli auf die Stimmen der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament angewiesen ist, muss er ihren Forderungen entgegenkommen. Wer will, kann in der Konstellation eine Fortsetzung der deutschen großen Koalition auf EU-Ebene sehen.

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