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EU: In guter Verfassung

Die EU bekommt neue Reformverträge – Vorbehalte gibt es nur noch in London und Warschau

Die technisch-juristische Arbeit ist getan – die politische noch lange nicht. Textentwürfe für die zwei Reformverträge, die an die Stelle der gescheiterten EU-Verfassung treten sollen, liegen jetzt seit Anfang dieser Woche immerhin vor. Die Juristen aus den 27 EU-Mitgliedstaaten haben in den vergangenen Monaten die wichtigsten Inhalte des alten Verfassungsvertrags, den alle einst unterzeichnet und 18 der 27 EU-Mitgliedstaaten schon ratifiziert hatten, auf die zwei Reformverträge übertragen, auf den „Vertrag über die Europäische Union“ und den „Vertrag über die Arbeitsweise der Union“. Der technische Teil der EU-Regierungskonferenz ist damit abgeschlossen.

Die politische Auseinandersetzung dagegen tritt erst in die heiße Phase. Die portugiesische EU-Präsidentschaft wird in den nächsten Tagen versuchen, vor dem EU-Gipfel, der am 18. und 19. Oktober in Lissabon stattfinden wird, noch möglichst viele Probleme aus dem Weg zu räumen. Die entscheidenden politischen Fragen müssen aber die 27 Staats- und Regierungschefs beantworten. Doch bevor sie dann den letzten Punkt unter den neuen EU-Grundlagenvertrag setzen können, stehen der EU in Lissabon noch heftige Auseinandersetzungen bevor.

Denn obgleich der EU-Grundlagenvertrag doch vor allem das Ziel hat, die Entscheidungsmechanismen der EU zu vereinfachen und damit die Union handlungsfähiger zu machen, will die katholisch-nationalistische Regierung in Polen genau das Gegenteil durchsetzen: Sie will die Blockademöglichkeiten verbessern. Die Regierung Kaczynski hat deshalb den alten „Ioannina-Mechanismus“ ausgegraben, der vor zehn Jahren in Griechenland zur Beruhigung kleiner EU-Mitgliedstaaten eingeführt wurde, seither aber nur ein einziges Mal in Anspruch genommen wurde. Polen will diesen Mechanismus, der bisher nur in einer Protokollnotiz festgehalten ist, ausdrücklich in den EU-Vertrag aufnehmen. Außerdem, so fordern die Kaczynski-Zwillinge, müsse es künftig für Polen möglich werden, Mehrheitsbeschlüsse nicht nur höchstens drei Monate zu verzögern – wie bisher in Ioannina festgelegt – sondern bis zu zwei Jahren. Das aber lehnen alle anderen 26 EU-Regierungen ab. Polen sei, so heißt es in Brüssel, völlig isoliert – ohne Chance sich in Lissabon durchzusetzen.

Die Forderungen Großbritanniens dagegen, denen sich Polen anschließen will, scheinen von den EU-Partnern im Grundsatz akzeptiert zu werden: Die Regierung Brown will ein „opt-out“, eine Ausnahme nicht nur von der EU-Grundrechtecharta, sondern auch von der im Vertrag vorgesehenen Einbeziehung der Innen- und Justizpolitik in den Bereich der Gemeinschaftsentscheidungen. „Großbritannien wird mit dem ,opt-out’ bei der Grundrechtecharta und im Bereich der Justiz- und Innenpolitik alles bekommen, was es wollte“, meint der Verfassungsexperte des Europaparlaments, der CDU-Abgeordnete Elmar Brok. „Es sollte aber nicht die anderen an einer gemeinsamen Politik hindern.“ Die Gefahr sei groß, so fürchtet man im Europaparlament, dass die Briten im Ministerrat ein Problem der Sicherheits- oder Justizpolitik mitberaten und mit allen ihnen zu Verfügung stehenden Kniffs den Beschluss verwässern, am Ende dann aber doch erklären, dass sie nicht mitmachen. „Das wollen wir nicht“, sagt Brok. „Die Briten müssen sich schon am Anfang einer Beratung entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht“.

Abgesehen davon sind die Verfassungsexperten des Europaparlaments mit der Arbeit der Regierungskonferenz hoch zufrieden. „Wir haben bei einer Regierungskonferenz noch nie einen so hohen Grad der Übereinstimmung erreicht“, berichtet Brok. Das EU-Parlament konnte etwa durchsetzen, dass die „Unionsbürgerschaft“ in den Vertragsentwurf aufgenommen wurde, gleichberechtigt neben den nationalen Staatsbürgerschaften. Der neue Grundlagenvertrag sieht zudem ein einfacheres Abstimmungsverfahren vor, die Ausweitung der Gemeinschaftsverfahren in der Innen- und Justizpolitik und eine Stärkung der Außenpolitik mit einem „Hohen Repräsentanten“, in der Verfassung noch als „EU-Außenminister“ bezeichnet, und mit einem gemeinsamen Diplomatischen Dienst.

Sollte es den 27 Staats- und Regierungschefs in Lissabon gelingen, sich zusammenzuraufen, dann könnten die beiden neuen EU-Verträge bis Ende des Jahres unterzeichnet werden. Spätestens bis zu den Europawahlen 2009 sollen die neuen Grundlagen der EU in Kraft sein, so hofft man in Brüssel und Straßburg. Die gefährlichste Hürde dürfte die Ratifizierung im Laufe des nächsten Jahres sein. In Irland ist eine Volksabstimmung Pflicht. Und in Großbritannien ist es keineswegs abgemacht, dass der neue Premier Gordon Brown auf der euroskeptischen Insel tatsächlich wie beabsichtigt ein Referendum umgehen kann.

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