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EU-Klimapolitik und Energiewende: Eins ist gleich drei - Brüssels seltsame Mathematik

Die EU-Kommission ist bei der Klimapolitik wankelmütig – künftig soll es offenbar nur noch ein verbindliches Klimaziel für die Mitgliedstaaten geben statt drei. Das ärgert Deutschland und andere Staaten. Wohin geht der Kurs?

Kein gutes Klima fürs Klima: Was auf den ersten Blick wie ein Streit um Kaisers Bart aussieht, entpuppt sich auf den zweiten Blick als ein Grundkonflikt darüber, welchen Weg Europa künftig in der Klimapolitik geht. Mithin entscheidet sich auch, ob Deutschland mit seinen ehrgeizigen Klimazielen zum einsamen Vorkämpfer wird – und ob die Deutschen eines Tages zwar auf einer atomkraftfreien Insel leben, die aber von einer veritablen Zahl atomarer Meiler umgeben ist. Es sind also entscheidende Tage für die künftige Klimapolitik. Am nächsten Mittwoch präsentiert die EU-Kommission ihren Vorschlag dazu, wie es nach 2020 weitergehen soll, wenn die drei verbindlichen Vorgaben der Gemeinschaft auslaufen: Reduzierung des Ausstoßes von CO2, Anteil erneuerbarer Energien am Stromaufkommen, Energieeffizienz. Zwar entscheiden am Ende die Mitgliedstaaten und das Europaparlament, aber die Behörde gibt mit ihrem Entwurf die Richtung vor.

Worum geht es bei dem Streit?

Im Kern geht es darum, ob die EU-Kommission für das Jahr 2030 wie bisher drei Klimaziele empfehlen wird oder nur noch eines. In der Bundesregierung gibt man sich ratlos. „Diffus“, berichtet ein EU-Diplomat, seien die Signale, die aus der Brüsseler Kommission zu hören seien. Die EU-Kommission muss dabei versuchen, die völlig unterschiedliche Interessenlage der Mitgliedstaaten unter einen Hut zu bringen. Die Bundesregierung und andere Länder wie Belgien, Dänemark oder Österreich setzen darauf, dass es weiter verbindliche Vorgaben sowohl für die CO2-Reduktion als auch für den Anteil von Ökostrom aus Solar- und Windkraft als auch für das Energiesparen gibt. Auf der anderen Seite stehen Briten und Polen, die nur ein Ziel für den Abbau von Kohlendioxid-Emissionen wollen, weil sie das Klima lieber mit CO2-freiem Atomstrom retten wollen. Im Kommissarskollegium selbst ist das Thema entsprechend strittig – gegenseitige Vorwürfe und Anschuldigungen inklusive.

Welche Rolle spielt dabei Energiekommissar Günther Oettinger?

Ihm kommt in seiner Funktion dabei natürlich eine wichtige Rolle zu. Und es gibt sehr verschiedene Ansichten dazu, wie er sie spielt. Oettinger selbst nimmt dem Vernehmen nach für sich in Anspruch, im Sinne der Bundesregierung für die Beibehaltung von drei Zielen einzutreten. Aus dem Team der für das Klima zuständigen Kommissarin Connie Hedegaard aus Dänemark heißt es dagegen, Oettinger und der italienische Industriekommissar Antonio Tajani seien die Rädelsführer einer Ein-Ziel-Politik.

In der entscheidenden Sitzung am vergangenen Freitag, so heißt es, habe Oettinger geschwiegen, als Kommissionschef José Manuel Barroso nach Unterstützern für ein Erneuerbaren-Ziel nach bisherigem Muster fragte. Der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen wirft Oettinger daher „ein doppeltes Spiel“ vor, da er „in der Öffentlichkeit ganz anders argumentiert als innerhalb der Kommission“.

Wie könnte der Streit ausgehen?

Das ist schwierig vorauszusehen. Einerseits zeichnet sich ab, dass die EU-Kommission am Mittwoch drei Klimaziele für das Jahr 2030 vorschlagen wird, wobei es Details zum Energiesparziel erst später im Jahr geben soll, wenn eine neue Bewertung der bisherigen Ergebnisse vorliegt. Andererseits heißt es in Kommissionskreisen, das Ziel für den Ausbau regenerativer Energien solle nicht mehr auf konkrete nationale Verpflichtungen heruntergebrochen werden. Bisher ist es so, dass etwa Deutschland zum Erreichen des europaweiten Anteils von 20 Prozent am Energieverbrauch eine Quote von 18 Prozent aus Erneuerbaren erreichen muss. Künftig, so ist in der Brüsseler Behörde zu hören, gäbe es dann nur noch ein europäisches Gesamtziel ohne nationalstaatliche Teilverpflichtungen.

Warum sperrt sich Deutschland dagegen, dass nur ein Klimaziel vorgegeben wird?

Diese Brüsseler Mathematik, über die sich vor allem die Briten freuen, kommt bei den Deutschen gar nicht gut an. Die Bundesregierung will die Neuinterpretation der Ziffer 3 nicht akzeptieren. Um Investoren Sicherheit zu bieten, Investitionen in das Netz zu fördern und Fehlanreize in Richtung Atomkraft zu vermeiden, setzt der neue Energiewendeminister Sigmar Gabriel (SPD) weiter auf „ein verbindliches Ziel für den Ausbau der erneuerbaren Energien“. Und das solle, ergänzt ein EU-Diplomat, „von der Systematik wie bisher“ gestaltet werden – mit nationalen Unterzielen also. Ohne sie droht Europa nach Ansicht des Bundes für Umwelt und Naturschutz zum „Klub der Unverbindlichkeit“ zu werden.

„Es wird eine Art Mechanismus geben müssen, um sicherzustellen, dass ein EU-weites Ziel auch eingehalten wird“, heißt es aus Kommissionskreisen zu dem Vorwurf. Derzeit wird überlegt, dass die Mitgliedstaaten dafür nationale Aktionspläne vorlegen sollen. Wäre das Ziel in der Summe damit nicht zu schaffen, würde die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt entsprechende Gesetzesinitiativen vorlegen. Ob das die Kritiker milde stimmt, bleibt fraglich – zumal nicht einmal sicher ist, wie ambitioniert die konkreten Zahlen werden. Als europäische Erneuerbaren-Marke sind 25 oder 27 Prozent im Gespräch – die Bundesregierung fordert 30. Beim CO2-Ziel will Berlin „mindestens 40 Prozent“ sehen, wie Minister Gabriel jüngst bekräftigte. Selbst diese Marke halten Umweltschützer für zu niedrig, um die Erderwärmung im Jahr 2050 auf zwei Grad begrenzen zu können. Innerhalb der Kommission ist dagegen noch offen, ob es die 35 von Oettinger werden oder die 40 von Hedegaard. Vom Ausmaß der CO2-Reduzierung hängt auch ab, wie die Reform des Emissionshandelssystems ausfällt, die die Brüsseler Behörde ebenfalls am Mittwoch vorlegt.

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