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Einige Äußerungen des EU-Energiekommissars Oettinger zu den beunruhigenden Ereignissen in Japan verursachten am Mittwoch einen kleinen Börsencrash.

© AFP

EU-Kommissar Oettinger: „Wir werden auch 2030 Atomstrom haben“

Der Energiekommissar Oettinger hält einen EU-weiten Ausstieg aus der Atomkraft für unrealistisch. Er strebt einen Stresstest aller Reaktoren in der EU an.

Herr Oettinger, was geht jemandem durch den Kopf, der am Vortag einen Börsencrash verursacht hat?
Ich mache mir große Sorgen. Und nicht nur ich – viele Fachleute befürchten, dass in Japan eine Atomkatastrophe droht, mit entsprechenden Auswirkungen auf die japanische Wirtschaft.

Sollten sich die Japaner mehr helfen lassen? Die USA üben Kritik an deren Strategie zur Vermeidung des Super GAU.
Die EU muss ein Hilfsangebot machen. Denn egal, ob die nächsten beiden Tage nun glimpflich verlaufen oder dramatisch, gibt es danach auf jeden Fall technische Aufgaben von herausragender Dimension. Diese zu koordinieren, wird Hauptaufgabe des Sonderenergierates am Montag sein.

Auf Ihre Initiative hin werden alle Reaktoren in der EU überprüft. Wie stellen Sie sicher, dass die Meiler wirklich auf Herz und Nieren geprüft werden? Es drängt sich ja der Vergleich zum ersten Bankenstresstest auf: Kurz darauf brach das irische Bankensystem zusammen – trotz Gütesiegel.
Sie haben Recht. Wir bereiten diese Sonderprüfung genau vor. Meine Experten schauen sich in allen Einzelstaaten die striktesten Genehmigungsverfahren und besten Prüfmethoden an, damit wir einen strengen, konsequenten Vorschlag für die Stresstests machen können. In der Kommissionssitzung nächsten Mittwoch lege ich die ersten Umrisse vor.

Wann wird es Ergebnisse geben?
Wir werden bis spätestens Juni die Fragen, Themen und Prüfbereiche erarbeitet haben – abhängig von Lage, Alter und Bautyp. Wie lang der Sicherheitscheck selbst dauert, ist noch nicht klar. Er findet aber auf jeden Fall im zweiten Halbjahr statt.

Was ist mit Meilern, die den Test nicht bestehen? Sie haben keine Rechtsgrundlage, um ein Abschalten zu erzwingen.
Da sich alle EU-Staaten und alle Betreiber damit einverstanden erklärt haben, gehe ich davon aus, dass sie sich auch den Folgerungen der Gutachter unterwerfen. Und was die Rechtsgrundlage angeht: Bisher war vorgesehen, die Kernenergiesicherheitsrichtlinie, die im Sommer umgesetzt sein muss, erst Ende 2014 zu überprüfen. Das erscheint mir jetzt deutlich zu spät. Ich werde nächstes Jahr weitergehende Vorschläge machen. Es wird dabei unter anderem um gemeinsame Standards, Prüfverfahren und Kontrolldichte gehen.

Sie haben das Moratorium angesprochen. Wie bewerten Sie den deutschen Sonderweg, Reaktoren gleich abzuschalten?
Was die Nutzung der Kernkraft angeht, nimmt Deutschland in Europa eine Mittelposition ein. 14 Länder produzieren Atomstrom, 13 nicht. Deutschland hat Kernkraft, baut aber keine neuen Anlagen, wie es andere tun. So dramatisch das Moratorium und die Ausstiegsplanungen daher erscheinen, bleibt Deutschland damit doch in der Mitte der europäischen Skala, was die verschiedenen Atomstrategien angeht.

Es gibt die Befürchtung, dass, wenn jeder EU-Staat einfach abschalte, es zu Engpässen kommen könnte.
Politik hat nun einmal die Aufgabe, schnell auf Entwicklungen zu reagieren und Korrekturen vorzunehmen. Deshalb habe ich Verständnis für die deutsche Entwicklung seit Montag. Umgekehrt müssen wir – wenn man Stromausfälle vermeiden will und Versorgungssicherheit als zentrales Ziel neben der Sicherheit für die Bevölkerung und dem Klimaschutz definiert – jetzt verstärkt die Strommengen, die Teilmärkte und den flexiblen Austausch zwischen ihnen beachten. Die europäische Netzinfrastruktur muss in Qualität und Quantität schneller als bisher vorgesehen ausgebaut werden. Ich hoffe, dass diese beim EU-Gipfel Ende nächster Woche einen Schub bekommt, weil es für Europa eine der zentralen Erkenntnisse aus dem Unglück in Japan ist.

Die Kanzlerin spricht vom „Ausstieg mit Augenmaß“. Sie haben eine Debatte darüber angeregt, wie Europa ohne Kernkraft auskommen kann. Was ist realistisch?
Wir erörtern diese Frage im Rahmen unseres Strategiepapiers „Energy Roadmap 2050“, das von Mai an mit allen Beteiligten beraten und im Herbst ins Kommissionskollegium kommen wird. Obwohl es um das Zieldatum 2050 geht, ist mir der Zwischenschritt 2030 fast noch wichtiger – weil Investoren schon jetzt für dieses Datum Planungssicherheit brauchen. Wir werden dann weniger als die heutigen 30 Prozent Kernkraftanteil in der EU haben, aber sicher nicht 0 Prozent – weil ich den Mitgliedstaaten ihre vertraglich geregelte Kompetenz nicht wegnehmen kann und einige von ihnen auch in diesen Tagen an der Kernkraft als zentralem Pfeiler ihrer Energieversorgung festhalten.

Der Chef des Bundesumweltamtes hält einen Ausstieg in Deutschland bis 2017 für möglich...?
Wenn man beliebig Schulden aufnimmt, beliebig die Kosten erhöht und den Energieverbrauch massiv senkt, ist alles vorstellbar. Aber es ist wirtschaftlich und politisch nicht wahrscheinlich und deshalb auch kein Ziel einer realistischen Politik.

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