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Sein Land steht seit Wochen enorm unter Druck, doch der Premier schwieg. Jetzt will sich Silvio Berlusconi zu Wort melden, um die Finanzmärkte von der Stabilität seines Landes zu überzeugen.

© Reuters

EU-Krise: Italien und Berlusconi hoffen auf den Ruck

Im politisch wie wirtschaftlich schwer angeschlagenen Land beschwören alle den Neuanfang. Ob das gelingt, scheint fraglich.

Wochenlang war von Silvio Berlusconi nichts zu sehen und nichts zu hören. Die Attacken der Finanzmärkte auf Italien wurden immer heftiger – der Ministerpräsident aber wirkte wie verschwunden. Erst am Mittwoch, auf Druck von allen Seiten, hat Berlusconi die Sprache wiedergefunden: Den letzten Arbeitsnachmittag des Parlaments vor der Sommerpause nutzte er zu einer Regierungserklärung, mit welcher er die internationale Finanzwelt von der Stabilität Italiens, von der Solidität der Regierung und von deren Entschlossenheit im Kampf gegen die Staatsverschuldung überzeugen wollte.

Vorsichtshalber – die Aktion konnte ja auch schief gehen – sprach Berlusconi erst nach dem abendlichen Börsenschluss. Konkrete Maßnahmen, außer einer Reduzierung der Politikergehälter und des Gebrauchs von Dienstwagen, kündigte er jedoch nicht an.

Finanzminister Giulio Tremonti reiste derweil am Mittwoch, auf demonstrativer Suche nach internationaler Bestätigung, zum Leiter der Euro- Gruppe, Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker. Von EU-Währungskommissar Olli Rehn ließ sich Tremonti am Telefon offiziell bescheinigen, dass Brüssel „volles Vertrauen“ in die römische Regierung und in deren Maßnahmen zur Haushaltssanierung habe.

Genau darauf stellte auch Berlusconi in seiner Regierungserklärung ab. Der Inhalt der Haushaltskorrektur und die Schnelligkeit, mit der das 48-Milliarden-Euro-Paket vor einem Monat beschlossen worden sei, habe „bei allen internationalen Beobachtern“ Anerkennung gefunden, sagte Berlusconi. Einen Nachtragshaushalt, eine von italienischen Experten geforderte Verschärfung der Sparmaßnahmen als Antwort auf die unaufhaltsamen Angriffe der Finanzmärkte, erwähnte Berlusconi nicht.

Den eigenen Rückzug schloss Berlusconi indirekt aus. Politische Stabilität sei „die siegreiche Waffe gegen die Spekulation“, sagte er. Die gesamte Politik rief er zum Zusammenhalt auf und garantierte der Opposition, „nicht taub zu sein für ihre Vorschläge, sofern sie patriotischem Geiste entspringen“. Der Rede Berlusconis waren umfassende Konsultationen innerhalb der eigenen Regierung vorausgegangen. Aufgefallen ist auch, dass Berlusconi in den letzten Tagen erstmals demonstrativ die Nähe von Mario Draghi suchte. Der designierte Chef der Europäischen Zentralbank soll offenbar als Art lebender Vertrauensbeweis zugunsten der Regierung eingesetzt werden.

An diesem Donnerstag trifft sich Berlusconi mit den Sozialpartnern. Auch dieser nationale „Gipfel“ war nicht vom Regierungschef ausgegangen; er ist die Folge eines dramatischen Appells, zu dem sich vor einer Woche erstmals die gesamte Wirtschaft Italiens zusammengefunden hatte. Banken und Industrie, Handel, Landwirtschaft und Handwerk, Arbeitgeber und Gewerkschaften sahen eine „untragbare Krise“ heraufziehen, falls nicht ein „neuer Anfang“ gemacht und ein „Wachstumspakt für Italien“ vereinbart würden. Die Regierung hatte auch diesen Appell zunächst mit Schweigen übergangen; dann aber drängten die mächtigen Banken- und Industrie-Dachverbände auf ein unverzügliches Treffen: „Wenn Berlusconi nicht zu uns kommt, gehen wir zu ihm.“

Wie der Neuanfang aussehen soll, das haben die im Einzelnen recht unterschiedlich denkenden Unterzeichner offen gelassen. So dürfen die einen interpretieren, Italiens geballte Wirtschaft habe zur Sicherung internationaler Glaubwürdigkeit den Rücktritt der Regierung Berlusconi verlangt; andere legen den Text so aus, die Gewerkschaften sollten endlich ihr „Betondenken“ gegenüber einer Flexibilisierung der Arbeitsverträge aufgeben, um Italien global wieder wettbewerbs- und damit wachstumsfähig zu machen.

Auch der im Volk hoch angesehene, moralisch unanfechtbare Staatspräsident Giorgio Napolitano, der in der Krise immer stärker zu einer Über-Regierung wird, fordert „angesichts der Schwere der Herausforderungen“ einen Ruck: „Die Politik erscheint schwach und zerstritten, unfähig zu mutigen, einheitlichen und wirksamen Entscheidungen.“ Italien müsse sich zu einer „Wende“ durchringen, sagt der 86-jährige. „Und sei es nur aus dem Instinkt heraus, das nationale Überleben zu sichern.“

Derweil verliert der Rest der politischen Klasse mit jedem Tag mehr von ihrer im Volk ohnehin als gering eingeschätzten Glaubwürdigkeit. Die Zeitungen sind voll von Ermittlungen der Staatsanwaltschaften, die in offenbar immer weitere Kreise von Schmiergeld-, Parteispenden- und Klüngelei-Affären eintauchen.

In einem der Brennpunkte steht ausgerechnet Tremonti. Er soll schwarz und sehr teuer im Appartement eines seiner engsten Berater gewohnt haben; das Etablissement war vorher, eigens für diesen mittlerweile zurückgetretenen Berater, von einem Bauunternehmer restauriert worden, der sich dafür öffentliche Aufträge versprach. Der Finanzminister sagt, die fragliche Wohnung habe er zur Sicherung seiner „Privatsphäre“ gewählt. Denn in den Hotels oder in dem für ihn freigehaltenen Gästezimmer der Finanzpolizei, so erklärte Tremonti „La Repubblica“, habe er sich „kontrolliert, beschattet und ausspioniert“ gefühlt.

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