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Unter einem Dach: Unterhaus und Oberhaus in London.

© AFP

EU-Referendum in Großbritannien: Rebellische Lords

Im Meinungsstreit um den Brexit spielt auch das Oberhaus eine Rolle. Aber keine, die Premierminister David Cameron gefällt.

Briten hängen an alten Institutionen. Wer eine Verfassung hat, die aus einer Sammlung von Dokumenten und Konventionen besteht, die bis ins Mittelalter zurückreicht, der kann auch mit einer Instanz wie dem Oberhaus leben. Wäre die Europäische Union auch ein bisschen älter, mit Gründungsdatum 1855 etwa – kein Mensch zwischen Orkney und der Isle of Wight würde über den Brexit reden. Nun aber debattieren die Briten darüber, immer aufgeregter, denn irgendwann bis Ende 2017 sollen sie darüber abstimmen: in or out.

Und siehe da – auch das Oberhaus spielt eine Rolle. Kontinentaleuropäer glauben ja bisweilen noch, das House of Lords sei eine völlig abgemeldete Instanz, in der greise Adelige ihre Nachmittagsschläfchen halten bis zum ersten Whiskey im Club. Aber der vor hundert Jahren eingeleitete Prozess der Entmachtung der Lords hat über die Jahrzehnte nicht zu deren Abschaffung geführt, sondern zu einer Transformation. Der Erbadel darf nur noch 91 Peers schicken, dazu kommen die 26 anglikanischen Bischöfe, der Rest setzt sich aus mehreren hundert Lords und Ladies zusammen, die auf Lebenszeit ernannt sind – viele davon Berufspolitiker auf dem mehr oder weniger zügigen Weg in den Ruhestand. Zwar sollen die Lords sich eher trockener Sacharbeit hingeben und die Tagespolitik dem Unterhaus überlassen. Vor allem in Haushalts-, Steuer- und sonstigen Finanzdingen sollen sie sich der Einmischung enthalten. Aber neuerdings sind sie rebellisch.

Tories haben keine Mehrheit unter den Lords

Denn dummerweise, aus Sicht von Premier David Cameron, haben die Konservativen im Oberhaus keine Mehrheit. Seit dem weitgehenden Abschied des meist stockkonservativen Erbadels dominieren Labour-Peers und Liberaldemokraten, und die unabhängigen „Crossbenchers“ neigen derzeit offenbar auch mehr zur Opposition. Weshalb das Oberhaus seit der Wahl im Mai häufiger schon Gesetze zu verändern suchte und unlängst sogar ein Steuergesetz der Tory-Regierung stoppte, das Ärmere benachteiligt hätte. Ein wütender Cameron sinnt seither auf Rache und lässt jetzt eine weitere Entmachtung der Lords prüfen.

Dazu trug auch bei, dass die Mehrheit des Oberhauses auch noch das Gesetz zum EU-Referendum erweitert hat – und eine Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre verlangte. Das lässt sich leicht erklären: Die Jüngeren gelten als europafreundlich, die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen spricht sich in Umfragen gar mit Zweidrittelmehrheit dafür aus, dass Großbritannien in der EU bleibt. Bei Älteren tendieren die Mehrheiten eher gegen Brüssel. Labour, Liberaldemokraten und schottische Nationalpartei sind pro EU. So wie die Mehrheit der Londoner, Schotten und Waliser. Camerons Partei galt bisher als gespalten, Cameron selbst auch. In England außerhalb der Metropole ist wohl eine knappe Mehrheit für den Austritt.

Am vergangenen Dienstag wies das Unterhaus das Anliegen der Lords zurück. Mit der gewagten Begründung, dass mehr Abstimmende das Referendum verteuern würden, hat die konservative Mehrheit im Unterhaus das Wahlgesetz zudem als Finanzvorlage eingestuft – welche die Lords dann eigentlich nicht stoppen können. Am Montag debattierte das Oberhaus den Gesetzentwurf erneut, doch eine Mehrheit folgte nun der Regierung - das Wahlalter bleibt damit bei 18 Jahren. Das Ping-Pong zwischen den Kammern war damit schneller beendet, als manche Beobachter erwartet hatten. Doch hat das Oberhaus Cameron und die Tories in eine unangenehme Lage gebracht: Denn die Ablehnung der Beteiligung junger Wähler ist ein Signal, dass die Konservativen schon jetzt den Austritt aus der EU favorisieren.

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