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EU-Russland-Gipfel: Merkel fordert Demonstrationsfreiheit

Auseinandersetzung zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin: Die Bundeskanzlerin kritiserte den Umgang Russlands mit Regierungsgegnern. Der russische Präsident konterte mit Verweis auf die Razzien gegen G-8-Gegner in Deutschland.

Wolschskij Utjos - Vor dem Treffen hatte sich Merkel zuversichtlich gezeigt, die Streitigkeiten mit Putin teilweise ausräumen zu können. Stattdessen traten die Differenzen beim Gang vor die Presse ungewöhnlich offen zu Tage. Merkel übte deutliche Kritik an der Festsetzung von Garri Kasparow und anderen Oppositionellen am Rande des Gipfels. Das Schachgenie war kurz zuvor von den Behörden in Moskau daran gehindert worden, in die Wolgastadt Samara rund 200 Kilometer von dem abgeschirmten Gipfelort zu fliegen. Seine Bewegung "Das Andere Russland" wollte dort am Freitagabend an einem "Marsch der Unzufriedenen" teilnehmen.

Merkel sagte, sie habe "jedes Verständnis", dass man Demonstranten festnehmen müsse, wenn sie Gewalt anwendeten. "Wenn jemand nichts gemacht hat und nur auf dem Weg zu einer Demonstration ist, ist das aus meiner Sicht eine andere Sache." Putin entgegnete, solche Maßnahmen würden auch in Deutschland angewandt. Er nannte konkret die Razzien gegen G-8-Gegner in Hamburg im Vorfeld des Gipfels in Heiligendamm. Mit Blick auf die russische Opposition gab er sich hart: Moskau lasse sich von "marginalen Gruppen" keine Angst einjagen.

Kasparow appelliert an Merkel

Garri Kasparow appellierte an Bundeskanzlerin Angela Merkel, vom russischen Präsidenten Wladimir Putin beim EU-Russland-Gipfel Konsequenzen zu fordern. "Vor den Augen der EU-Spitze, während Angela Merkel in Samara auf dem Gipfel ist, wird die russische Verfassung de facto außer Kraft gesetzt. Die Bürgerrechte werden mit Füßen getreten", sagte Kasparow zu Focus Online. Die Kanzlerin dürfe sich nicht mit Worthülsen abspeisen lassen. Putin trage die Verantwortung für die Übergriffe auf die Opposition.

Er sei praktisch festgenommen worden, sagte der frühere Schachweltmeister. Beim Einchecken am Moskauer Flughafen sei ihm der Pass abgenommen worden. Seither werde er daran gehindert, den Flughafen zu verlassen.

Keine Annäherumg im Fleischstreit

Auch beim Fleischstreit mit Polen gaben sich beide Seiten unversöhnlich. EU-Kommissionspräsident Barroso forderte Russland mit Nachdruck auf, das vor anderthalb Jahren gegen Warschau verhängte Handelsembargo aufzuheben. Putin wies das zurück. Das als unhygienisch beanstandete Fleisch ströme mit EU-Hilfe "ungeschützt" auf den russischen Markt, unterstrich Putin.

Der Startschuss für ein geplantes Partnerschaftsabkommen mit Russland blieb wegen des ungelösten Fleischstreits auf dem Gipfeltreffen an der Wolga aus. Polen hat sein Veto eingelegt. Merkel warb aber bei Putin bei einem Abendessen und einer gemeinsamen Bootsfahrt auf der Wolga für eine "Überwindung der Probleme", wie es aus der deutschen Delegation hieß. Die EU will ein altes Abkommen von 1997 ersetzen, das Ende dieses Jahres ausläuft. Europa erhofft sich davon mehr Zuverlässigkeit bei russischen Öl- und Gaslieferungen.

Putin verurteilt Schulterschluss der EU mit Estland

Harte Kritik übte Putin auch an dem Schulterschluss der EU mit Estland im Streit um die Verlegung eines sowjetischen Kriegerdenkmals. Im Baltikum würden die Rechte russischstämmiger Minderheiten verletzt, kritisierte der sichtlich aufgebrachte Präsident. "Wir finden das inakzeptabel und Europas nicht würdig". Den ungeklärten Tod eines russischstämmigen Demonstranten nannte er "Mord". Kritiker kreiden Putin an, vor den Präsidentschafts- und Präsidentenwahlen in diesem und im kommenden Jahr nationalistische Stimmung schüren zu wollen. Putin gibt 2008 sein Amt ab.

Am Freitagnachmittag wollten Merkel und Putin noch internationale Konfliktpunkte wie das Kosovo und den Iran ansprechen. Davor zeigten sich beide Seiten bemüht, die offen zu Tage tretenden Spannungen herunterzuspielen. Merkel bekräftigte, gerade in schwierigen Zeiten sei der Dialog notwendig. Der russische Präsident wies die Vermutung zurück, beide Seiten könnten sich nicht einigen. "Wir haben uns in allen Fragen geeinigt - außer denen, die noch näher geklärt werden müssen", sagte er.

An dem Treffen an der Wolga nahmen für den deutschen EU-Vorsitz auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) teil. Russland wurde zudem durch Außenminister Sergej Lawrow vertreten. (tso/AFP)

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