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Schmeckt's? Geht so! Schulessen kommt selten gut weg.

© dpa

Zankapfel Schulessen: Kindergesundheit hängt nicht nur am gesunden Essen

Die EU hat ein Schulobstprogramm aufgelegt, 150 Millionen Euro daraus fließen nach Deutschland. Leider passen hier die Zuständigkeiten zu dieser Art Geldsegen nicht. Generell liegt das Problem anderswo. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Der Aufwand ist gigantisch: Die Europäische Union, der Bund und die Länderregierungen – sie alle machen Politik mit Äpfeln und Karotten, um Schulkindern zu vermitteln, was gesundes Essen ist. In der Grundschule lernen Kinder, warum Nutella nicht gesund und wie die Nährwertpyramide aufgebaut ist. Damit das nicht bloß Theorie bleibt, bekommen sie ein möglichst gesundes Schulessen. Das ist, je nach Bundesland, angereichert mit Äpfeln und Karotten, die von der EU mitfinanziert werden, oder mit Äpfeln und Karotten vom Biobauern aus der Region. Gerade erst hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, das regeln soll, wie das Obst- und Gemüse-Programm in die deutsche Länderpolitik übersetzt wird. Es beläuft sich auf 150 Millionen Euro jährlich für Schulobst und -gemüse.

Gut, dass sie das machen – oder nicht? Niemand, der offenen Auges über einen Schulhof geht, würde bestreiten, dass viele Kinder heute eine Radikalkur mit Obst und Gemüse brauchen könnten. Serienweise belegen Studien, dass etwa jedes fünfte Kind zu dick ist. Über die „Generation Pommes“ wird gespottet, Fachleute rechnen jetzt schon die Quoten späterer Knie-Kranker und Fettsüchtiger aus – und die Kosten für deren Behandlung. Im Komplex aus Volksgesundheit, den Kosten ihrer Erhaltung und Präventionspolitik macht die Politik, was sie am besten kann: Sie subventioniert, was die Gesundheit fördert.

Das Prinzip funktioniert allerdings beim gesunden Schulessen nicht besonders gut. Es beginnt damit, dass die EU zwar eine Menge Geld bietet, dessen Verteilung aber in Deutschland nicht zu den Zuständigkeiten für die Schulen passt. Bildung ist Ländersache – und so gibt es Länder, die die EU-Millionen mitnehmen, pflichtgemäß ihrerseits Anteile dazugeben und aus alledem Schulmenüs für hunderttausende Kinder machen, die als „gesund“ gelten können.

In Berlin hat Kritik am Essen zu Verbesserungen geführt

In Berlin und einigen anderen Bundesländern machen sie es anders. Sie nehmen das EU-Äpfel- und Karottengeld nicht in Anspruch. Die Richtlinien des EU-Programms passen nicht zu den Vorgaben an die Schulen, die sich die Bildungspolitiker und Ernährungsfachleute für die Kinder in ihrem Bundesland ausgedacht haben: Kulturhoheit der Länder, so ist das nun mal. Und manchmal passen sie, wie in Brandenburg, nicht mal zu den Interessen der Obstbauern im Land – so jedenfalls hat die Potsdamer Landesregierung begründet, dass sie an dem EU-Programm nicht teilnehmen will.

Davon abgesehen, sind Kindergesundheit und Schulessen so heiße Themen, dass kein Schulpolitiker es wagt, Verantwortung auf die EU abzuschieben. Schlechtes Berliner Schulessen hat der SPD-Bildungsenatorin Sandra Scheeres jahrelang Ärger gemacht, aber es gab positive Veränderungen. 2013 hatte eine Studie ergeben, dass die großen Lieferanten für Schulkantinen-Essen beim Kochen nur wenig richtig machten; obendrein wurde das zu fette, zu nährstoff- und zu vitaminarme Essen nur lauwarm angeliefert. Das führte zu neuen Vorschriften für das, was im Essen drin sein muss, und zu einer neuen Kontrollinstanz: Eine „Fachkontrollstelle“ aus drei Ernährungsfachleuten soll ab November überall in Berlin Schulmenüs auf ihre Qualität überprüfen können, und zwar ohne Ankündigung.

Kinder werden auch dick, weil sie zu viel sitzen

Man darf gespannt sein, wie das funktioniert. Und man darf – im Vorhinein und ausnahmsweise – der Politik in der Volksküchenmetropole Berlin mal ein Kompliment für ihre Verbrauchernähe und ihre basisdemokratische Orientierung machen. Länger als in den anderen Bundesländern gibt es hier eine „Vernetzungsstelle“ Schulverpflegung, die die Qualität des Mittagessens für die Schulkinder zu verbessern versucht. Und selbstredend kommen in den Gremien an den Schulen auch die Schüler zu Wort.

Und doch arbeitet sich die Politik nur an einem Teil des Problems Kindergesundheit ab, wenn sie versucht, die Qualität des Schulessens zu verbessern. Dass Kinder schon im Grundschulalter zu dick, zu schwer und zu träge werden, liegt nicht allein an den Puddings und den Pommes rot-weiß aus der Schulkantine; es liegt daran, dass sie sich allgemein zu wenig bewegen – und dann noch das Falsche essen. Da fällt ein EU-weiter und alle Ebenen von Brüssel bis Berlin betreffender Mangel an politischer Fantasie auf.

Wichtiger als ein EU-Programm für Äpfel und Karotten wäre eine Offensive gegen das, was dick und krank macht, mitsamt einschlägigen Abbildungen schwerer Wampen auf Nutella-Gläsern und Chips- Tüten. Zu viel Volkserziehung? Zu viel Bevormundung im liberalen Europa? Wie wäre es dann mit einem EU-gesponsorten Spiel- und Sportplatzprogramm, mit allem, was dazu gehört, von Bolzen bis Klettern, und inklusive der Instandhaltung? Davon kann man nicht genug haben.

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