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Brexit-Befürworter Boris Johnson.

© REUTERS

EU und Großbritannien nach dem Brexit-Votum: Nicht auf Johnsons perfides Referendums-Spiel einlassen

Merkel und Co. sollten sich nicht vom Brexit-Lager erpressen lassen. Braten sie Johnson eine Extrawurst, könnte das schlechte britische Referendums-Beispiel schnell Schule machen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Es wird ein „Dinner for 28“, aber es wird eines der letzten Abendessen von David Cameron in Brüssel sein. Am Dienstag wird der britische Premier zu vorgerückter Stunde beim EU-Gipfel noch dabei sein. Am folgenden Tag, bei einem informellen Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs, wird dann ohne ihn darüber beraten, wie es in Europa weitergehen soll. Kann es überhaupt weitergehen? Angesichts des Brexit, der – und da gibt es nichts zu beschönigen – einer Amputation der EU gleichkommt, steht die Zukunft Europas auf dem Spiel.

Cameron ist ein politischer Zombie - es ist egal, ob er in Brüssel dabei ist

Die ersten Antworten zur Rettung der EU aus der Rezepteküche zum politischen Schnellverzehr wirken so hilflos wie floskelhaft – wie etwa die richtige und dennoch hohl klingende Forderung, dass Europa endlich „besser funktionieren“ müsse. Mit Blick auf Großbritannien steht aber immerhin eines schon mal fest: Auf Cameron kommt es nicht mehr an. Seit dem Brexit-Votum ist er ein politischer Zombie. Statt mit Cameron beim Abendessen über den Brexit zu diskutieren, sollten sich die übrigen 27 Staats- und Regierungschefs lieber vom Anführer der Austritts-Befürworter, Boris Johnson, erklären lassen, wie er sich die Scheidung von der EU vorstellt.

Allerdings herrscht auch auf dem Kontinent keine Klarheit darüber, wie denn nun mit London zu verfahren sei. Da gibt es EU-Spitzenpolitiker wie den Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Europaparlamentspräsident Martin Schulz, welche die Briten am liebsten zum schnellen Beginn des Austrittsverfahrens zwingen würden – wenn sie denn eine Handhabe hätten. Konzilianter zeigt sich Angela Merkel. Es wäre nicht überraschend, wenn die Kanzlerin eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen würde: Wenn ein Brexit zu neuen Handelshemmnissen in der derzeitigen EU führen würde, wäre auch die deutsche Wirtschaft betroffen.

Johnson pokert - so wie im vergangenen Jahr Tsipras

Großbritanniens (Noch-)EU-Partner sollten sich allerdings darauf einstellen, dass Boris Johnson sein perfides Referendums-Spiel möglicherweise noch gar nicht zu Ende gespielt hat. Londons Ex-Bürgermeister, dies ist die zweite Erkenntnis im Brexit-Drama, ist die bloße Trennung von der verteufelten EU gar nicht so wichtig. Entscheidend ist für ihn ein möglichst guter Deal bei den Scheidungsverhandlungen. Johnson spekuliert – vielleicht auf Neuverhandlungen mit der EU, vielleicht auf ein zweites Referendum. Das ähnelt dem Gebaren des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras im vergangenen Jahr, der Verhandlungen mit den EU-Partnern bis zur Beinahe-Pleite endlos in die Länge zog.

Weil Großbritannien mehr Gewicht hat als Griechenland, wähnen sich Johnson und seine Brexit-Freunde in einer starken Position. Allerdings sollten sich Merkel und ihre EU-Partner nicht auf eine derartige Zockerei einlassen. Sicher, politisch hängt nicht viel davon ab, ob der britische Scheidungsantrag beim EU-Gipfel gestellt wird oder erst etwas später. Aber dennoch müssen die Briten den Kontinentaleuropäern schon in absehbarer Zeit sagen, was sie eigentlich wollen. Falls Merkel und Co. ihnen aber noch eine Extrawurst braten sollten, um sie zum Bleiben zu bewegen, dann könnte das schlechte britische Referendums-Beispiel auch anderswo schnell Schule machen. Wenn sich jeder EU-Staat demnächst per Volksabstimmung Sonderrechte und Ausstiegsklauseln sichern würde, wäre die Europäische Union endgültig erledigt.

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