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Urteil zu EU-Reformvertrag in Tschechien erwartet

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EU-Vertrag: Alle zusammen

Das tschechische Verfassungsgericht hat den Weg für eine Ratifizierung des Lissabon-Vertrags frei gemacht, Präsident Vaclav Klaus hat unterschrieben. Damit akzeptiert auch der letzte der 27 EU-Staaten das Reformwerk. Wie geht es nun weiter?

Unterschrieben hat der tschechische Präsident Vaclav Klaus den Lissabon-Vertrag zwar, begeistert ist er aber nicht. „Mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags hört die Tschechische Republik auf, ein souveräner Staat zu sein“, sagte Klaus bei einer Pressekonferenz auf der Prager Burg. Seiner Unterschrift unter den EU-Reformvertrag sind monatelange Streitigkeiten vorangegangen. Beobachter in Prag und Brüssel zeigen sich deshalb überrascht, dass Klaus die Ratifizierung so schnell nach dem Verfassungsgerichtsurteil vorgenommen hat.

In seiner wenige Minuten langen Stellungnahme kritisierte Vaclav Klaus in harschen Worten das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts. „Ich kann mit seiner Form und seiner juristischen Qualität nicht übereinstimmen“, sagte er. Ohne Gegenstimme haben zuvor die 15 tschechischen Verfassungsrichter erklärt, dass der Lissabon-Vertrag nicht mit der Landesverfassung kollidiere, wie die tschechischen EU-Kritiker argumentierten. Geklagt hatte eine Gruppe von Abgeordneten des Prager Senats, der oberen Kammer des Parlaments. Sie gaben an, dass Tschechien mit der Abtretung von Kompetenzen an Brüssel, die mit der Ratifizierung des Lissabon-Vertrags einhergehe, seine verfassungsrechtlich verankerte Souveränität einschränken müsse. Dieser Argumentation wollten die Richter indes nicht folgen. Der Vorsitzende Richter Pavel Rychetsky sagte in seiner Urteilsbegründung: „Die Übertragung von bestimmten Staatskompetenzen, die aus dem freien Willen des Souveräns entspringt und die weiterhin unter dessen Beteiligung ausgeübt werden, ist keine Schwächung der Souveränität, sondern kann im Gegenteil zu deren Stärkung beim gemeinsamen Vorgehen des integrierten Ganzen führen.“

In Brüssel war die Erleichterung mit Händen zu greifen. „Ich bin äußerst erfreut, dass das Verfassungsgericht den Weg für die Ratifizierung des Lissabon- Vertrags in Tschechien frei gemacht hat“, ließ sich am Dienstag der Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso aus den Vereinigten Staaten vernehmen, wo er am Gipfeltreffen USA-EU teilnimmt. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok bezeichnete das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts als „historischen Abschluss“ des langjährigen EU-Reformprozesses. Während ihres Besuches in Washington erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die EU jetzt stärker und handlungsfähiger werde. Schon beim EU-Gipfeltreffen in der vergangenen Woche hatte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy prophezeit: „Am 1. Dezember kann der Lissabon-Vertrag in Kraft treten.“

Das tschechische Verfassungsgericht und die Ratifizierung des Vertrags durch Klaus hat aber nicht nur den Weg für den EU-Reformvertrag frei gemacht, sondern auch für die mit Spannung erwarteten Personalentscheidungen. Seit ihre Amtszeit offiziell am 31. Oktober zu Ende ging, hält die alte EU-Kommission nur noch geschäftsführend in Brüssel die Stellung. Über die Besetzung der Brüsseler Spitzenposten – die neuen EU-Kommissare, der neue Hohe Beauftragte für die Außenpolitik und der ständige EU-Ratspräsident – wurde in den vergangenen Tagen schon kräftig spekuliert. Entschieden ist aber offenbar noch nichts. Doch das kann jetzt schnell geschehen. Spätestens in der nächsten Woche müssen sich die 27 Regierungen einig werden. Am 9. November, wenn viele Regierungschefs zur Feier des Mauerfalls nach Berlin kommen, wird vermutlich am Brüsseler Personaltableau noch letzte Hand angelegt. Wenige Tage später, am 12. November, sollen dann bei einem Sondergipfel in Brüssel die Entscheidungen fallen.

Das Europäische Parlament legt den designierten EU-Kommissaren anschließend Fragebögen vor, um politische Positionen und Absichten auszuloten. „Man muss ihnen dann drei Wochen Zeit geben, damit sie die Fragen beantworten und sich auf das Hearing im Europaparlament vorbereiten können“, sagt ein erfahrener Parlamentsmitarbeiter. Bis Mitte Dezember könnte dann die Befragung aller 27 Kommissare durch Europas Volksvertreter über die Bühne gehen.

Frühestens in der Straßburger Plenarsitzung im Januar wird es dann zur Schlussabstimmung über die neue EU-Kommission kommen – vorausgesetzt, alle von den Regierungen nominierten EU-Kommissare bestehen die harte Prüfung. Wenn alles reibungslos klappt, dann könnte die neue EU-Kommission am 1. Februar ihr Amt in der obersten Etage des Brüsseler Berlaymont-Gebäudes antreten. Frühestens dann ist auch die Zeit für den Umzug Günther Oettingers (CDU) nach Brüssel gekommen.

In Tschechien ist das Thema Lissabon mit der Ratifizierung aber noch nicht ganz abgeschlossen. Denn die auf Drängen von Staatspräsident Vaclav Klaus erfolgte Ausnahme Tschechiens aus der Grundrechtecharta gerät in die Kritik. Führende Politiker fast aller Parteien haben ihre Befürchtungen ausgesprochen, dass die Tschechen dadurch künftig in der Europäischen Union rechtlich schlechter gestellt sein könnten. Klaus hatte die Ausnahme gefordert, damit die nach dem Krieg vertriebenen Sudetendeutschen nicht auf der Grundlage von europäischem Recht auf eine Rückgabe ihres enteigneten Besitzes klagen könnten. Mit der Grundrechtecharta, so Klaus, sei der Fortbestand der sogenannten Benes-Dekrete gefährdet. In der Grundrechtecharta sind allerdings auch grundlegende Arbeitnehmerrechte und soziale Ansprüche festgeschrieben – diese werden nach Auffassung von Prager Juristen wegen der Ausnahmeregelung nicht für Tschechen gelten.

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