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EU-Vorsitz: Ein Königreich für Europa

Schweden übernimmt am 1. Juli den EU-Vorsitz. Als wären die Probleme im eigenen Land nicht schon groß genug, muss das Land sich nun um die Finanzkrise auf europäischer Ebene kümmern. Andererseits: Mit Bankenrettungsaktionen kennen sich die Skandinavier aus.

Auf den Parkbänken vor der Staatskanzlei in Stockholm genießen jüngere und ältere Paare die Mittsommersonne und den Blick aufs Wasser, behelmte Radler fahren dicht am Amtssitz des Premierministers Fredrik Reinfeldt vorbei. Krise? Welche Krise? Die Beschaulichkeit rings um Schwedens Machtzentrum kann schon dazu verleiten, dass man die Krise, die Stockholms Regierungschef im kommenden Halbjahr meistern muss, völlig vergisst.

Doch der Schein trügt. Am 1. Juli übernimmt Schweden den EU-Vorsitz bis Ende Dezember, und die Wirtschaftskrise wird für Reinfeldt wohl eine zentrale Rolle spielen. Die Auswirkungen der Rezession bekommen der Premier und seine Regierungsmannschaft schon seit Monaten deutlich zu spüren: So schließen in Göteborg im Südwesten des Landes Geschäfte gleich reihenweise, und im nahe gelegenen Autoproduktionsstandort Trollhättan steigt die Arbeitslosigkeit.

Haushaltsdisziplin soll zurückkehren

Als wären die wirtschaftlichen Probleme im eigenen Land nicht schon groß genug, übernimmt Stockholm den EU-Vorsitz in einer denkbar schwierigen Situation: Von Schweden wird gleichzeitig erwartet, die Finanzkrise einzudämmen und die EU-Staaten auf eine gemeinsame Position für den Weltklimagipfel in Kopenhagen im Dezember einzuschwören. Die beiden heiklen Aufgaben dürften nach jetzigem Stand wohl die Agenda des schwedischen Vorsitzes beherrschen und andere europapolitische Herausforderungen in der Themenliste weit nach unten verdrängen. Die Öffnung weiterer Verhandlungskapitel in den EU-Beitrittsgesprächen mit der Türkei? „Ich weiß heute nicht, ob dies während der schwedischen Präsidentschaft möglich sein wird“, antwortet der 43-jährige Reinfeldt. Wenn der liberalkonservative Stockholmer Regierungschef bei den Beitrittsverhandlungen nicht unbedingt aufs Tempo drücken will, weiß er sich einig mit seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel (CDU).

Beim Kampf gegen die Rezession könnte es sich sogar als Vorteil erweisen, dass Schweden bereits eine leidvolle Erfahrung im Krisenmanagement gemacht hat, als Anfang der neunziger Jahre der Immobilienmarkt im Königreich zusammenbrach. Es folgte seinerzeit eine Bankenrettungsaktion, für die vor allem auch die Steuerzahler die Zeche zahlten. Schweden geriet damals an den Rand des Staatsbankrotts. Jetzt will der künftige EU-Vorsitz unbedingt vermeiden, dass sich die europaweit steigenden Haushaltsdefizite zu einem unbeherrschbaren Problem auswachsen. Die Devise der schwedischen Regierung lautet: Nachdem überall Konjunkturpakete geschnürt wurden, soll das Augenmerk der EU jetzt wieder der Haushaltskonsolidierung gelten.

Besonders genau verfolgt die Regierung in Stockholm die Entwicklung beim EU-Mitglied Lettland, das mit drastischen Sparmaßnahmen gegen den drohenden Staatsbankrott kämpft. In dem Baltikumsstaat müssen Staatsbedienstete auf 20 Prozent ihres Gehaltes verzichten. Trotz derartiger Einschnitte halten aber die Spekulationen über eine Abwertung der lettischen Währung, des Lats, an. Die hätte für schwedische Banken erhebliche Folgen: Viele Letten sind bei Geldinstituten wie der Swedbank verschuldet; eine Abwertung der lettischen Währung würde dazu führen, dass Schwedens Banken bei der Rückzahlung der Kreditschulden große Einbußen hinnehmen müssten.

Klimagipfel ist zweites Großprojekt

Beim Klimaschutz steht die künftige Stockholmer EU-Präsidentschaft vor der Aufgabe, bis zur Konferenz in Kopenhagen eine finanzielle Lastenteilung unter den EU-Staaten bei den Hilfen für Entwicklungs- und Schwellenländer hinzubekommen. Reinfeldt räumt zwar ein, dass Europas Staatenlenker seit dem vergangenen Herbst einen Großteil ihrer Energie auf die Wirtschaftskrise richten. Gleichzeitig gehe aber der Klimawandel weiter, argumentiert er, „die Welt muss mehr tun“. Sein eigenes Land sieht der Regierungschef dabei in einer Vorreiterrolle. Wirtschaftliches Wachstum lasse sich durchaus mit einer Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes vereinbaren, rechnet er vor: Seit 1990 sei die Wirtschaft in Schweden um fast 50 Prozent gewachsen, während der CO2-Ausstoß gleichzeitig um knapp zehn Prozent gesunken sei – nicht zuletzt dank einer Besteuerung von CO2-Emissionen.

Reinfeldt werde sich vehement für einen Erfolg beim Weltklimagipfel in Kopenhagen einsetzen, dennoch dürfte aber vor allem die Wirtschaftskrise den schwedischen EU-Vorsitz fest im Griff behalten, vermutet der Politikjournalist Peter Wolodarski von der liberalen Stockholmer Zeitung „Dagens Nyheter“. Es könne aber auch sein, dass Reinfeldt im kommenden Halbjahr eine EU-Verfassungskrise meistern muss – falls die Iren erneut Nein zum Lissabon-Vertrag sagen sollten. Der schwedische EU-Vorsitz, sagt Wolodarski, gleiche einer Rechnung mit vielen Unbekannten.

Vielleicht hilft es Reinfeldt im kommenden Halbjahr ja, dass die Schweden schon längst keine eingefleischten Europa-Skeptiker mehr sind. Als das Land 1995 der EU beitrat, stand ein großer Teil der Schweden der Gemeinschaft noch kritisch gegenüber. Heute, sagt der Regierungschef, hat sich das geändert: „Die Tatsache, dass sich die EU beim Klimawandel und in der Finanzkrise klar engagiert, hat der Gemeinschaft in Schweden Respekt verschafft.“ Er kann sich dabei auf die Beteiligung seiner Landsleute an der Europawahl berufen – sie nahm im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern zu. Und die Euroskeptiker gehörten zu den Wahlverlierern im Königreich.

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