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Im Bundestag geht es heute beim Thema Euro-Rettung um viel - wieder einmal.

© dpa

Euro-Abstimmung: Was kann der Bundestag entscheiden?

Die Abgeordneten stimmen am Mittwoch über den Rettungsschirm ab. Dabei bleibt vieles unklar, doch Bundeskanzlerin Merkel braucht breite Unterstützung für die Verhandlungen in Brüssel.

Von Robert Birnbaum

Angela Merkel hat ein neues Lieblingswort entdeckt: „Neuland“. Die Rettung eines ganzen Währungsraums, die Hilfe für überschuldete Euro-Staaten – alles Neuland in der Tat. Am Dienstag fügt die Kanzlerin ihrer Geografie unbekannter Gegenden eine weitere hinzu: Die deutsche Version von Parlamentsbeteiligung sei auch so ein Gebiet, „in dem wir alle miteinander Neuland beschreiten“. Es scheint sich um absturzgefährdetes Gelände zu handeln. Es müsse die Balance gefunden werden zwischen Parlamentszustimmung und internationaler Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, fügt Merkel an und wird sogar pathetisch. „Ich bin meinem Amtseid verpflichtet, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden“, sagt Merkel.

Was erhofft sich Merkel von dem Bundestagsbeschluss?

Man kann das auch kürzer sagen: Leute, lautet Merkels Botschaft, übertreibt es nicht mit der parlamentarischen Aufsicht – vertraut der Regierung den Spielraum an, den sie zur Arbeit braucht. Der Appell kommt nicht zufällig. Am Mittwoch stimmt der Bundestag zum zweiten Mal über den Euro-Rettungsschirm EFSF ab. Rechtlich ist das Plenum nicht gefordert – der Haushaltsausschuss hätte ausgereicht. Politisch fand es Unionsfraktionschef Volker Kauder besser, dem Druck der Opposition auszuweichen und den ganzen Bundestag abstimmen zu lassen. Doch auch Kauder mahnt nun an, die Parlamentsbefassung müsse „so flexibel sein, dass wir in Europa handlungsfähig sind“.

Dahinter steckt der Versuch, einer absehbaren Enttäuschung vorzubeugen. Die Abstimmung am Mittwoch mag politisch hoch aufgeladen sein – wieder muss die Koalition eine eigene Mehrheit zustande bringen, noch besser eine Kanzlermehrheit, also die absolute Mehrheit der Regierungsfraktionen im Bundestag. In der Sache ist das, was da zu entscheiden ist, aber weit von einem endgültigen Beschluss über die Ausgestaltung des EFSF entfernt. Wieder geht es nur um grobe Leitplanken. Doch selbst die fallen nicht sonderlich massiv aus: Abgestimmt wird über einen Entschließungsantrag – eine Willensbekundung des Parlaments, die die Regierung streng genommen sogar ignorieren könnte.

In der Sache liegt dem Bundestag ja auch an Neuem nicht mehr vor als eine erste Skizze jener „Hebel“-Mechanismen, die in Brüssel nach dem Euro-Halbgipfel am Sonntag in der engeren Wahl geblieben sind. Auf gut drei Din-A-4-Seiten haben Fachbeamte mit vielen Konjunktiven aufgeschrieben, mit welchen Methoden sie sich vorstellen könnten, die 440 Milliarden Euro im Garantietopf des Rettungsschirms in die fantastisch anmutende Summe von mehr als einer Billion Euro zur Finanzierung klammer Euro-Staaten zu verwandeln. Doch schon in dem Anschreiben, mit dem der parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter das Papier am Montagabend vom Finanzministerium an den Haushaltsausschuss weiterleitete, ist vermerkt, dass die Sache „komplex“ und die Umsetzung der Ideen in justiziable Leitlinien deshalb erst später möglich sein werde.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche zwei Modelle zur Abstimmung stehen.

Was steht zur Abstimmung?

Konkret geht es um zwei Modelle, die sich gegenseitig ergänzen sollen. Option 1 ist eine Versicherungslösung. Wenn überschuldete Euro-Staaten Staatsanleihen ausgeben, soll darin eine Teil-Ausfallversicherung enthalten sein. Mit ihr garantiert der EFSF, dass er für einen bestimmten Teil der Staatsschulden einsteht – im Gespräch sind 20 Prozent –, wenn der Ausgabestaat nicht zurückzahlen kann. Der Investor hat so eine größere Sicherheit; der Staat kann im Gegenzug niedrigere Zinssätze ansetzen.

Option 2 zielt auf Sonderfonds für Schuldenstaaten, eine Art Mini-EFSF unter Mitwirkung des Internationalen Währungsfonds (IWF). An diesen Fonds sollen sich Investoren beteiligen können – vor allem devisenstarke Schwellenstaaten wie China oder Indien, aber auch das ölreiche Norwegen gelten hier als Kandidaten. Der Fonds soll am Kapitalmarkt mit Staatsanleihen handeln, wobei wiederum der EFSF als Garant für einen Teil der eventuellen Verluste auftreten soll.

So weit, so schwierig zu verstehen, selbst für die meisten Abgeordneten – doch in Wahrheit lässt der Brüsseler „Entwurf“ mehr offen, als er klärt. Ob der EFSF für jeden Ausfall erstrangig in Anspruch genommen wird, was genau ein „Ausfall“ ist – lauter offene, aber potenziell kostenträchtige Fragen. Das ist kein böser Wille, sondern liegt in der Natur der Sache. Vieles lässt sich erst festlegen, nachdem es mit Investoren verhandelt ist. Schließlich wollen die Euro-Länder Geld. „Hebel“ die keiner nutzt, wären sinnlos.

Abgestimmt wird folglich über sehr viel Allgemeines. Der gemeinsame Antrag mit SPD und Grünen bekräftigt überwiegend Dinge, die der Bundestag vor vier Wochen schon mal beschlossen hat, fordert Überflüssiges – eine Berichtspflicht der Regierung an das Parlament etwa, die schon längst im Gesetzblatt steht – und gibt Merkel ansonsten ziemlich freie Hand für die Brüsseler Verhandlungsrunde. Über die wichtigen Details soll dann später doch wieder der Haushaltsausschuss entscheiden. Im Neuland Parlamentsbeteiligung droht kein Absturz. Nur arg holprig ist es.

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