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Euro-Krise: Der radikale Schwenk von Schwarz-Gelb

Eigentlich wollte die CDU-Führung nur den Haushaltsausschuss über die Euro-Rettung entscheiden lassen. Doch nun ist wieder der gesamte Bundestag gefragt. Das Votum könnte gefährlich werden für Schwarz-Gelb.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Am Montagfrüh im CDU-Präsidium traute mancher seinen Ohren nicht. Die ganze letzte Woche hindurch hatte Volker Kauder alle Forderungen der Opposition als bloße Taktiererei gegeißelt, über die Ausgestaltung des Euro-Rettungsfonds EFSF erneut den ganzen Bundestag beschließen zu lassen. Das komme gar nicht in Frage, hatte der Fraktionsvorsitzende Kauder in der Sitzung der Unionsfraktion verkündet; über die Richtlinien beschließe der Haushaltsausschuss, das stehe ausdrücklich so im einschlägigen Gesetz, und dabei bleibe es. Am Freitag stimmten die Abgeordneten von CDU, CSU und FDP sogar im Bundestag einen Gegenantrag der Opposition nieder. Jetzt, drei Tage später, vollzog Kauder einen radikalen Schwenk. Er werde den übrigen Fraktionen nachher vorschlagen, über die Richtlinien für den EFSF nun doch im Bundestagsplenum zu beschließen, verkündete der Unionsfraktionschef der CDU-Spitze

Warum stimmt nun doch der gesamte Bundestag?

Das einsame Manöver erwischte auch führende Koalitionäre kalt. Selbst in der FDP-Fraktionsspitze waren sie ahnungslos. Kauder begründete den Alleingang im Präsidium mit der „grundsätzlichen Bedeutung“, die das Thema durch „öffentliche Debatten in den vergangenen Tagen“ erlangt habe. Doch das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Der Streit über einen „Hebel“, der dem EFSF eine finanzielle Schlagkraft in Billionenhöhe verleihen soll, ist ja nicht neu.

Tatsächlich hat Kauder die Flucht nach vorn angetreten. Direkt nach der Sitzung der CDU-Spitze unterrichtete Kanzlerin Angela Merkel die Partei- und Fraktionschefs im Bundestag über den Euro-Gipfel am Wochenende und die Schritte bis zum zweiten Gipfelteil am Mittwoch. Es war klar, dass die Oppositionsführer dort wieder fordern würden, die brisante Frage nicht allein dem Haushaltsausschuss zu überlassen. Bevor Jürgen Trittin und Frank-Walter Steinmeier sich dort durchsetzen konnten, gab Kauder selbst nach.

Zwingend notwendig war das nicht. Selbst Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der seine Parteifreunde oft mit dem Ruf nach mehr Parlamentsbeteiligung genervt hat, sah diesmal keinen Grund zum Protest. Dass die „Guidelines“ für den EFSF nur vom Haushaltsausschuss abgesegnet werden müssen, hatte das Parlament schließlich gerade erst selbst beschlossen, und zwar mit den Stimmen von SPD und Grünen. Die wollen davon mittlerweile so recht nichts mehr wissen. Taktisch ist das sogar verständlich. Denn wenn der Bundestag am Mittwoch abstimmt, steht Merkels Koalition automatisch wieder vor der gleichen Frage wie beim ersten EFSF-Beschluss vor knapp vier Wochen: Schafft sie eine eigene, gar eine Kanzlermehrheit? Oder schaffen Union und FDP das nicht – was im äußersten Fall das Ende der Regierung bedeuten kann?

Lesen Sie auf Seite zwei, wie sich die FDP zur Euro-Abstimmung verhält

Das Risiko, dass es diesmal nicht für vier Stimmen über der Kanzlermehrheit von 311 reicht, ist jedenfalls groß. Denn so umstritten auch in den Reihen der Koalition schon der EFSF als solcher war – die „Hebel“-Mechanismen sind es noch viel mehr. Dabei sind Fachleute einhellig der Meinung, dass der Schirm trotz seiner Aufstockung auf 440 Milliarden Euro viel zu klein ist, um große Euro-Länder wie Spanien oder Italien zu schützen. Genau deshalb wird ja auch über Mittel und Wege verhandelt, die Wirkung des Schirms zu vervielfachen. Dabei soll der eigentliche Garantierahmen nicht aufgebläht werden; für mehr als seinen Anteil von 211 Milliarden Euro soll Deutschland selbst im allerschlimmsten Fall nicht einstehen müssen.

Merkel hat beim Euro-Gipfel den Franzosen immerhin abgerungen, dass der EFSF keine Banklizenz erhält. Damit entfällt die Variante, die Europäische Zentralbank quasi zur Gelddruckanstalt für den EFSF zu machen. Doch auch den verbliebenen Mechanismen – einer Art Kreditausfall-Versicherung und einem Unterfonds, den der Internationale Währungsfonds (IWF) betreiben würde – schlägt im Parlament viel Misstrauen entgegen. Merkel hat den Partei- und Fraktionschefs die Summe von einer Billion Euro genannt, auf die die finanzielle Schlagkraft des Schirms „gehebelt“ werden soll. Die Nerven und den Sachverstand, das den Wählern zu erklären, haben die Wenigsten.

Doch an dem Votum vom Mittwoch hängt mehr als bloß die Regierung. Schon jetzt stöhnen nicht nur die Partner in Brüssel darüber, dass sich das stärkste Euro-Land ausgerechnet in der schlimmsten Krise der Währung einem umständlichen Parlamentsverfahren unterzieht. Doch diese deutsche Umständlichkeit ist harmlos im Vergleich zu den Folgen, die eine Niederlage Merkels für Europa hätte.

Wie verhält sich der Koalitionspartner FDP?

Wie heikel die Lage für die Kanzlerin und ihre Koalition ist, konnte man am Montag beim kleinen Partner FDP mit Händen greifen. Einziges Thema der Vorstandsklausur: Der bevorstehenden Mitgliederentscheid über den Antrag des Euro-Rebellen Frank Schäffler, den Weg der schwarz-gelben Regierung in Europafragen nicht länger mitzugehen. Jede umstrittene Maßnahme der Regierung treibt den Schäfflers neue Sympathisanten in der FDP zu. So groß ist die Sorge offenbar, dass sich die Mitglieder für Schäffler, gegen die Parteiführung und damit für das Ende von Schwarz-Gelb entscheiden, dass Parteichef Philipp Rösler und Fraktionschef Rainer Brüderle nichts dem Zufall überlassen.

Statt zur eilig einberufenen Unterrichtung der Kanzlerin über die Ergebnisse des EU-Gipfels vom Wochenende zu gehen, blieben sie bei ihrem Vorstand und schickten Stellvertreter ins Kanzleramt. Von der geplanten Bundestagsabstimmung am Mittwoch erfuhren sie nur am Rande. Als Rösler am Nachmittag nach seiner Meinung gefragt wurde, sagte der FDP-Chef etwas gequält, es gebe „bestimmt Gründe, weshalb eine solche Abstimmung sinnvoll sein kann“.

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