zum Hauptinhalt

Politik: „Europa sollte Chancen im Osten sehen“

Polens neuer Botschafter in Berlin über Angstdebatten in der EU und die Heilung kranker Beziehungen

Herr Botschafter, seitdem in Polen die Brüder Kaczynski regieren, hat sich das deutsch-polnische Verhältnis laufend verschlechtert.

Ist das wirklich so? Aus meiner Sicht ist die romantische Phase in unseren Beziehungen nicht erst seit dem polnischen Regierungswechsel vorbei. Polen ist – auch dank deutscher Fürsprache, was wir nicht vergessen haben – jetzt Mitglied in der EU. Dass wir da klar unsere Interessen artikulieren, ist ein Stück einer neuen Normalität.

Vor zwei Wochen kam Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski zu einem verspäteten Antrittsbesuch bei Kanzlerin Angela Merkel. Ist die Stimmung wieder ein bisschen sonniger?

Sie ist zumindest besser. Das Gespräch der beiden hat in einer für uns sehr wichtigen Angelegenheit einen Fortschritt gebracht: bei der Energiesicherheit. Wir bleiben bei der kritischen Haltung zur deutsch-russischen Ostsee-Gaspipeline. Frau Merkel ist aber auf unsere Sicherheitsinteressen eingegangen und hat angekündigt, sich bei der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands für ein europäisches Energieversorgungssystem einzusetzen. Darüber haben wir uns sehr gefreut.

In den letzten Monaten macht man sich in Westeuropa vor allem Sorgen um die demokratische Entwicklung in Osteuropa…

Der Westen sieht Osteuropa zu einseitig. Europa muss die Chancen erkennen, die es durch die neuen Mitglieder im Osten bekommt – nicht nur immer die Sorgen. Der Umbruch von 1989 ist in unserer Region herbeigeführt worden, das war die politische Energie, die das Zusammenwachsen des Kontinents erst möglich gemacht hat. Wir würden uns freuen, wenn jetzt auch in Deutschland unsere Ideen für die Zukunft Europas Gehör fänden, etwa für eine gemeinsame Außenpolitik, für eine effektivere Verteidigungsfähigkeit oder für den EU-Arbeitsmarkt.

Deutschland und andere EU-Länder haben ihren Arbeitsmarkt für neue EU-Mitglieder auf Jahre blockiert.

Das ist genau das, was ich meine. In Deutschland wurde von vornherein eine Angstdebatte geführt, von Chancen durch gut ausgebildete, integrationswillige Arbeitnehmer aus Polen war selten die Rede. England hat das anders gemacht – und erlebt positive Auswirkungen auf den heimischen Arbeitsmarkt und deutliche Steuer- und Abgabengewinne, allein im ersten Jahr von über einer halben Milliarde Euro.

Polen hat ein Veto gegen Verhandlungen über ein neues EU-Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland eingelegt. Sollte Warschau seine Rolle als Totalverweigerer nicht überdenken?

Wir sind keine Totalverweigerer, sondern werden von Russland schlicht und einfach schlechter behandelt als andere EU-Länder. Seit Monaten blockiert Moskau Lebensmittelimporte aus Polen – mit denselben fragwürdigen Gründen, die es auch gegen Einfuhren aus Ex-Sowjetrepubliken benutzt, etwa gegen moldawischen oder georgischen Wein. Wir sind aber EU-Mitglied und erwarten von den anderen Mitgliedsländern Solidarität.

Unterschiedliche Sichtweisen auf die Vergangenheit belasten das deutsch-polnische Verhältnis immer wieder. Reagiert Polen nicht manchmal über, etwa wenn es um in Deutschland unbedeutende Splittergruppen der Vertriebenen wie die „Preußische Treuhand“ geht?

Ein Drittel des polnischen Staatsgebietes war Teil des ehemaligen Deutschen Reichs. Stellen Sie sich mal vor, Sie leben in einem Haus etwa in Breslau und bekommen – wie öfters geschehen – ein Flugblatt in den Briefkasten, in dem von Entschädigungsansprüchen die Rede ist. Weil Vermögensfragen in der deutschen Rechtsdoktrin immer wieder offen gehalten wurden, kann es kaum wundern, dass man sich in Polen beunruhigt fühlt. Das sollte nicht bagatellisiert werden. Wir erheben schließlich auch keine Ansprüche gegen unsere östlichen Nachbarn, in deren Grenzen 40 Prozent des ehemaligen Polens liegen.

Streit gibt es nach wie vor um das „Zentrum gegen Vertreibungen“.

Uns ist wichtig, dass nach wie vor der Völkermord, nicht Vertreibung als eine der zentralen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts verstanden wird. Mischformen oder Zweideutigkeiten der Erinnerung bringen uns da nicht weiter.

Der deutsch-polnische Alternativvorschlag eines europäischen Netzwerks für Erinnerung ist bislang nicht recht vorangekommen.

Trotzdem halte ich das für den besseren Ansatz. Haben doch die Initiatoren des Projekts „Zentrum gegen Vertreibungen“ jahrzehntelang eine Linie vertreten, die unsere Grenzen offen in Frage stellte. Das weckt in Polen zu Recht Misstrauen - und die Angst, das juristische Zweideutigkeiten fortbestehen könnten. Solche Zweideutigkeiten und gelegentlich wiederkehrende Entschädigungsforderungen sind wie ein Tumor in unseren Beziehungen. Immerhin behandeln wir ihn mit Antibiotika, das ist schon einmal nicht schlecht. Ihn zu beseitigen, wäre jedoch besser.

Mit dem polnischen Botschafter sprachen Ingrid Müller, Gerd Appenzeller und Sebastian Bickerich.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false