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Politik: „Europa sollte mehr tun als zusehen“

Irakischer Minister über fehlende Hilfe

Berlin - Iraks Gesundheitsministerium vermisst Nothilfe aus dem Westen. „Wir haben allein 8000 Fälle von Kranken registriert, denen wir im Land selbst nicht helfen können“, sagte der Vizegesundheitsminister des Iraks, Sahah al Husseini, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Aber nicht einmal Nichtregierungsorganisationen interessieren sich dafür.“ Das sei aber angesichts der noch immer wachsenden Gewalt im Lande fatal, sagte al Husseini, der zurzeit in Berlin ist, um über die Not in seiner Heimat zu informieren: „Je schlechter die Sicherheitslage ist, desto schlechter ist auch die Lage des Gesundheitssystems. Europa sollte mehr tun, als einfach zusehen.“ Der Minister nennt Zahlen: Im vergangenen Jahr wurden allein durch Terroranschläge 23 000 Menschen verwundet. In diesem Jahr ist diese Zahl schon im ersten Halbjahr fast erreicht worden – bis Ende Juni registrierte man 21 000 Schwerverwundete. Sie müssen von einem staatlichen Gesundheitssystem versorgt werden, das nach den Saddam-Jahren und dem Krieg fast ohne Infrastruktur sei, das kein Geld hat – 30 Millionen Dollar standen 2005 für alle irakischen Krankenhäuser zur Verfügung – und dem Ärzte und Krankenpflegekräfte in die Nachbarländer weglaufen, wenn sie nicht, auch gezielt, getötet werden.

Al Husseini widerspricht der These, die Lage werde noch schlimmer, wenn die US-Truppen abzögen – Oberbefehlshaber George Casey brachte am Donnerstag eine Frist von 18 Monaten ins Gespräch: „Die Iraker haben davor keine Angst. Alles hängt davon ab, wie sie abziehen: Ob sie uns Bomben hinterlassen oder ob sie Blumen pflanzen, das heißt, ob sie uns beim Wiederaufbau helfen und technische Unterstützung geben. Dann wird auch die Gewalt zurückgehen.“

Al Husseini, der selbst Arzt ist und nach sechs Jahren im Exil im Jemen gleich nach Saddam Husseins Sturz in Bagdads schiitischem Armenviertel Sadr-City praktizierte, widerspricht auch sehr entschieden der Ansicht, es gebe im Irak einen Bürgerkrieg. Die religiösen Gegensätze zwischen Schiiten und Sunniten würden weit übertrieben. Auch Saddam Hussein habe immer behauptet, wenn er nicht mehr regiere, zerfalle der Irak im Bürgerkrieg. „Unsere Zivilisation ist 6000 Jahre alt, wir haben gelernt zusammenzuleben. Und nach dem ersten Krieg gegen Saddam brauchten wir 1990 nur zwei, drei Jahre für den Wiederaufbau“, sagt Sahah al Husseini. „Jetzt brauchen wir vielleicht zehn Jahre. Aber warum sollte uns in der Demokratie nicht gelingen, was wir unter einer Diktatur geschafft haben?“

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